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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0502
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

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was ihr bei uns durch den NS-Staat widerfahren ist und durch jede totalitäre politische
Macht jederzeit erneut widerfahren könnte: die Politik würde sich dann, ohne auf Ge-
genwehr und Widerstand zu stoßen, ihrer bemächtigen und sie zugleich vernichten,
indem sie sie entrechtet. Denn totalitäre politische Mächte, unter welchem ideologi-
schen Vorzeichen auch immer, können die Universität weder wünschen noch ihre ei-
genständige Existenz dulden oder ertragen. Die Universität kann ihrem Wesen nach
jedoch nicht politisch in einem weltanschaulich-ideologischen oder auch parteipoli-
tischen Sinne sein. Politisch ist sie vielmehr allein innerhalb des Staates und der Ge-
sellschaft, die sie selber wollen und die mit dem von ihr repräsentierten Geist der
Wahrheit und der Freiheit sich identifizieren. Denn nur Wissenschaft, die aus dem
Geist der Freiheit lebt, prägt auch den politischen Charakter der Menschen. So sah es
Kant in seiner philosophisch-ethischen Begründung der modernen Wissenschaft und
so definierte es Wilhelm von Humboldt im Blick auf den politischen Freiheitssinn der
Universität als der Hohen Schule des Staates und der »Positiven Gesellschaft«, wenn
er sagte: »Dem Staat ist es ebenso wenig als der Menschheit um Wissen und Reden,
sondern um Charakter und Handeln zu tun.«443 Ihren politischen Charakter aber kann
die Universität nur durch ihre volle Autonomie und Selbstverwaltung als geistige Kör-
perschaft bezeugen.
Den Rechtsgrund dieser Autonomie, einer vom Staat in seinem eigensten Interesse
der Universität zuzuerkennenden und nicht nur als Privileg ihr zu gewährenden Au-
tonomie, hat wiederum Wilhelm von Humboldt dargetan:
»Der Staat muß seine Universitäten weder als Gymnasien noch als Spezialfachschu-
len behandeln und sich seiner Akademie nicht als einer technischen oder wissenschaft-
lichen Deputation bedienen. Er muß im Ganzen ... von ihnen nichts fordern, was sich
unmittelbar geradezu auf ihn bezieht, sondern die innere Überzeugung hegen, daß,
wenn sie ihren Endzweck erreichen, sie auch seine Zwecke, und zwar von einem viel
höheren Gesichtspunkt aus erfüllen, von einem, von dem sich viel mehr zusammen-
fassen läßt, als er in Bewegung zu setzen vermag.«444 In der Autonomie der Universität
ersieht also Humboldt den Vorteil des Staates selber, »da der Staat, wenn er die Sache
von | dieser Seite betrachtet, immer bescheidener eingreifen wird, und im praktischen
Wirken im Staat auch überhaupt eine theoretisch unrichtige Ansicht, was man immer
sagen möge, nie ungestraft bleibt, da kein Wirken im Staat bloß mechanisch ist«.445
Nur ein dem Geiste der Freiheit verpflichtetes Staatswesen kann die volle Autono-
mie der Universität wünschen. Umgekehrt postuliert der Geist der modernen Wissen-
schaftlichkeit mit der Autonomie seiner Institutionsform, der Universität, ein freies
Staatswesen. Die in ihrem Wesen autonome Universität und der freie Staat fordern sich
gegenseitig. Weder die mittelalterliche, kirchlich gebundene Universität noch die Ge-
lehrtenrepublik des absolutistischen Staates besaßen diese volle, von Wilhelm von
Humboldt zum ersten Male ausdrücklich geforderte Autonomie. Sofern die scholasti-
sche Universität in ihren verschiedenen Gestalten, zuletzt der Gelehrtenrepublik des

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