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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0523
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Wissenschaft, Lehrfreiheit und Politik

ist die vor der Wahrheit. Verletzt er diese Verantwortung, so ist das keine schlechte Ma-
nier, sondern eine tödliche Verletzung seiner Berufspflicht. Das zu beurteilen gibt es
keine irdische Instanz.
Dagegen sind auch vom Professor gute Manieren zu verlangen. Sie zeigen sich in der
zur Wahrhaftigkeit gehörenden Form der Diskussion, in seinem Sprechen überhaupt
und in seiner persönlichen Gestalt. Verletzt er hier die Forderungen seines Berufes, so
ist das zwar peinlich, aber nicht tödlich für seine Sache. Äußerstenfalls kann sich ein
Genie als Narr benehmen. Das ist zwar nicht zu entschuldigen. Aber die Lehrfreiheit
erfordert, daß hier disziplinarisch nur dann vorgegangen wird, wenn Handlungen vor-
liegen, die gegen das Strafgesetz verstoßen. Sie sollen zuerst von ordentlichen Richtern
festgestellt und verurteilt werden und dann das Disziplinarverfahren zur Folge haben.
Dies schien der Ministerpräsident zu meinen, wenn er sagte, Desperados der Lehrfrei-
heit müsse die Demokratie - das heißt: ein freier Staat, der für sein eigenes Wesen die
freie Universität will - ertragen.
Rossmann: Sie ziehen die extreme Konsequenz aus dem Begriff der Lehrfreiheit und
Sie interpretieren die Worte des Ministerpräsidenten ganz im Sinne dieser Konsequenz.
Sie postulieren eine gleichsam schrankenlose Freiheit. Sind bei solcher Freiheit der Pro-
fessoren nicht Willkür und Zügellosigkeit die Folge?
36 | Jaspers: Sie haben recht. Ich habe nur grundsätzlich formuliert. Es ist aber die
Frage, was gegen die Zügellosigkeit ohne Verletzung der Freiheit zu tun möglich sei.
Das Eigentliche läßt sich nicht machen: es müssen die Persönlichkeiten da sein und
sich zeigen, die, außer daß sie geistig schöpferische Begabung besitzen, auch zur Frei-
heit fähig sind, die solche Freiheit verdienen, weil sie sie in ihrer Tätigkeit erfüllen.
Fehlen solche Persönlichkeiten, dann gerät alles ins Wanken. Die Freiheit erstickt dann
entweder in konventionellen Manieren der Zunft oder in der Vergewaltigung durch
staatliche Disziplinierung.
Rossmann: Worin sehen Sie dann - entgegen diesem pessimistischen Aspekt - die
Bedingung der möglichen Verwirklichung dieser Freiheit?
Jaspers: In der Freiheit geschieht die Korrektur durch die Freiheit selber mit der öf-
fentlichen Kritik. Auch der Ministerpräsident hat das Recht, unter Anführung von Zi-
taten an den Manieren des Professors Kritik zu üben. Nicht die freie Meinungsäuße-
rung wird damit bestritten, sondern die Weise kritisiert, in der sie vorgebracht wird.
Bense kann zwar nicht im Parlament, aber öffentlich antworten. Ein Minister, der ei-
nen Professor, wenn dieser wirklich Professor ist, angreift, wagt etwas. - Bense ist in
keinem Fall ein Märtyrer. Ihm ist nichts genommen. Er hat sich einer Kritik ausgesetzt,
die mir keineswegs ohne weiteres unberechtigt zu sein scheint. Seine Antwort - von
der mir nichts bekannt geworden ist - hätte zu einer Erörterung führen können, bei
der sich gezeigt hätte, ob die schlechte Manier mit einem brüchigen Grund in diesem
Denken zusammenhängt oder nicht. Davon ist bisher nichts geschehen. Das Ganze
ist als Sensation verpufft, ohne ein geistiges Ereignis zu werden.
 
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