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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0197
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Eifersuchtswahn

als auch meine Briefe Dir gleichgültig geworden sind. Die Gründe dafür wirst Du ja wohl wis-
sen - wenn einem Mann sich freiwillig eine andere Person anbietet... Auf Deinem Gesicht habe
ich es deutlich gelesen -1. hast Du mich nicht ruhig und offenen Blickes mehr ansehen können;
2. habe ich gefunden, daß Du durchnächtigt und verlebt ausgesehen hast. Dein Gesicht ist mir
sofort aufgefallen, Du siehst nicht mehr so frisch und rein und gesund aus, wie vor 3 Wochen.«
Weiterhin beklagt sie sich wegen ihrer Verlassenheit, daß sie nun nirgends zu Hause sei usw.
Von Heidelberg wurde Frau F. nunmehr ohne Schwierigkeiten in die Frankfurter Irrenanstalt
überführt (15. Januar bis 30. Juli 1898). Auch hier war sie immer durchaus klar und orientiert.
Benehmen und Stimmung waren wechselnd. Sie konnte lebhaft, sehr gesprächig, heiterer Stim-
mung, selbstbewußt sein. In anderen Zeiten weinte und jammerte sie, daß sie von ihrer Fami-
lie getrennt leben müsse. Sie litt sehr unter ihrer Internierung. Mehrfach störte sie durch Nei-
gung zu Klatsch und Intrigue. Mitkranken gab sie Briefe zum Besorgen mit. Gegen die Ärzte war
sie immer freundlich und schmeichelnd. - In zahlreichen Briefen an verschiedene Personen
machte sie Versuche, ihre Befreiung zu erwirken. Mit Beteuerungen und Schmeicheleien hielt
sie nicht zurück. Jeder war gerade ihr Retter. Ihr Drängen nach Befreiung wurde von Monat zu
Monat lebhafter. Sie machte schließlich erfolglose Fluchtversuche. In den Briefen an den Mann
war sie längst dringend, energisch, fordernd geworden. Schließlich wurde sie versuchsweise
nach Hause entlassen.
In dem halben Jahre ihres Frankfurter Aufenthaltes hat sie ihre Wahnideen nicht korrigiert.
Niemals zeigte sich auch nur eine Spur von Krankheitsgefühl. Sie glaubte immer, sie werde nur
durch die Intriguen ihres Mannes zurückgehalten. Sie sei so unschuldig wie die Serviette auf
dem Tisch. Die Beschuldigung der Eifersucht finde sie »zu dumm«. Sie habe in ihrer Stellung als
Frau und Mutter manchmal ihrem Mann entgegentreten müssen, das sei etwas ganz anderes. -
Aus allem suchte sie sich herauszureden. Daß sie den Arzt gebeten haben solle, dem Mann nach-
zugehen, das zu behaupten, sei eine empörende Frechheit, dazu sei sie viel zu stolz. Das Dienst-
mädchen habe zwar ihren Mann beobachtet, weil sie das in einer früheren Stellung gelernt habe.
Sie habe es geduldet, bloß um dem Mädchen zu beweisen, daß der Mann nur ordentliche Wege
gehe. - Sie ist entrüstet, daß ihr Mann »solche Kleinigkeiten« wiedererzähle (daß sie einen Brief
habe schreiben müssen, um abzubitten). Das seien Klatschereien der Dienstmädchen gewesen,
die nicht der Rede wert seien. Alles sucht sie als harmlos hinzustellen. Der Mann solle sich schä-
men, Dinge zu erzählen, die seine Pflicht als Ehemann zu verheimlichen geböte.
In derselben Unterhaltung, in der sie alles als so harmlos darstellt, kommt sie in der Erregung
wieder zu ihren alten Behauptungen: »Mein Mann ist mir in der letzten Zeit auch vielfach anders
vorgekommen, sein Blick war nicht mehr so frei, er sah nicht so rein aus. Ich bin so rein, so dumm
in solchen Sachen gewesen, aber ich bin leidenschaftlich und habe auch einen hübschen Kör-
per. Er ist auch immer zu mir gekommen bis 1896 im September, da fing er an ganz komisch zu
werden, sich zurückzuhalten. Ihnen sage ich Alles, sonst ist mein Mund tot.« Sie erzählt dann
weiter die verdächtigen Beobachtungen in der elektrischen Bahn. Sie merke es genau, ob eine
Person einen Mann anständig oder unanständig ansehe. Nach dieser Beobachtung habe sie übri-
gens den deutlichsten Beweis gehabt. »Mittags 3 Uhr telephoniert es: >Ist Herr F. vielleicht zu spre-
chen?< (ahmt eine Mädchenstimme nach). >Herr F. ist nicht da, kann ich ihm vielleicht etwas
ausrichten?< >Nein, ich komme dann selbst.< Was sagen Sie jetzt dazu, ist da noch von Eifersucht
die Rede?« Auf die Angaben des Hausarztes behauptet sie, der sei bestochen von ihrem Mann.
»Die Wärterinnen in Heidelberg haben mir sogar gesagt, die Augen meines Mannes tanzten viel
zu viel umher, ein solcher Mann müsse Genuß haben, das sei ein Lebemann.« Auf die Frage, ob
 
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