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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0204
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Eifersuchtswahn

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1. Aus reizbarer, erregter, aktiver, selbstbewußter Veranlagung querulierende
Leute: Pseudoquerulanten Kraepelins.353
a) Krakeeler (zum Teil »manische« nach Specht).
b) Querulanten nach einem wirklichen oder vermeintlichen Unrecht (zum
Teil Fälle bei Löwy, Gaupps Centralbl. 1910).354
Bei beiden entstehen Irrtümer aus Affekten und Wünschen. Diese können mit
Zunahme der Unkorrigierbarkeit übergehen in Wahnideen. Damit
2. Steigerung dieser Vorgänge zu Wahnbildungen, die nun selbständige Ursache
weiteren Handelns werden: »Entwicklung einer Persönlichkeit« (z.B. Fall bei Pfister
A. Z. f. Psych.: Bd. 59.355 - Hitzigs Fall 1).356 Es besteht ein psychologischer Zusammen-
hang mit dem früheren Leben. Jede einzelne Idee ist als aus Wünschen, Rechtsverlan-
gen, Selbstbewußtsein, Wut als »zweckmäßig« gebildet »verstehbar«. Eine Unterform
ist es, wenn erst eine Lebensphase, z.B. das Alter, mit ihren Veränderungen die Basis
schafft, auf der die querulatorische Veranlagung zur Entwicklung gelangt. (Fall Frese,
Jur. Psych. Grenzfragen 1909.)357
| 3. Bei einer anfänglichen Entwicklung wie bei 2 werden die »verständlichen«
Zusammenhänge verlassen. Es entwickeln sich völlig unzusammenhängende Wahn-
ideen oder gar psychische Schwäche. Wilmanns (Centralbl. f. Neurol. u. Psych. 1910)
stellte diesen Typus auf und führte einen Fall nur kurz an. »Entwicklung einer Persön-
lichkeit« zweiter Art oder »Prozeß«?
4. Zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lebens tritt ein wahnbildender Prozeß
auf, dessen zufälliger Inhalt der Wahn rechtlicher Benachteiligung ist. Eine Erklärung
aus der Charakteranlage ist nicht möglich.
Aus dieser Übersicht im Vergleich zum vorhergehenden Resume der Fälle Knopf
und Fischer geht hervor, daß wir die beiden letzteren für völlig analog den Typen 1 und
2 des Querulantenwahns halten. Der Typus 4 ist aber beim Querulantenwahn von uns
nur konstruiert. Wir vermochten entsprechende Fälle in der Literatur nicht zu finden.
Diesen Typus meinten wir aber, wie ohne weiteres klar ist, bei unseren beiden ersten
Fällen Klug und Mohr, die wir für »psychische Prozesse« erklärten. Für diese scheint
also bis soweit keine Analogie beim Querulantenwahn zu bestehen. Wohl haben beide
den Wahn rechtlicher Benachteiligung gehabt, aber nur als notwendige logische Folge
ihres zugrunde liegenden Eifersuchtswahns. Sie haben sich auch eigentlich nie wie
Querulanten benommen, sondern sich immer, wenn die rechtlichen Mittel erschöpft
waren, wenn auch grollend, zufrieden gegeben. Durch Bildung neuer Wahnideen für
die Zwecke des gerichtlichen Verfahrens haben sie sich nie geholfen.
Aus dem Bedürfnis, neues Material gewohnten Begriffen unterzuordnen, wird man,
wie ich vermute, meinen, daß diese Fälle von Eifersuchtswahn ja sämtlich klare Fälle
von »überwertiger Idee« seien, oder umgekehrt, man wird einige Fälle (Mohr und Klug)
herausnehmen und sie als Dementia praecox auffassen. Ich habe gegen beide Meinun-
gen nichts einzuwenden, halte aber die weite Ausdehnung der beiden Begriffe ȟber-

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