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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0207
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Eifersuchtswahn

Wichtiges erfahren können. - Einmal habe er auf einem Kunstblatt, von dem er wußte, daß es
früher keinen Fleck hatte, eine radierte Stelle gefunden. Er glaube, die Frau habe es wohl auf den
Boden fallen lassen. Obgleich sie das in Abrede stellte, sei es doch möglich, daß sie eine Notlüge
gebraucht habe. Das sei ihm ein furchtbarer Gedanke.
Pat. hält sich für unheilbar. Er werde seine Gedanken nie los. Vielleicht könne er, wenn er viel
daran denke, sie schließlich vertreiben. - Zu jeder Tageszeit könne die Angst kommen, aber mor-
gens sei er meistens mehr verstimmt. Es sei ihm auch der Gedanke gekommen, sich und seiner
Frau das Leben zu nehmen. - Nach wenigen Tagen wurde er, nach seiner Meinung gebessert,
entlassen.
Im Februar 1909 stellte sich der Pat. wieder vor. Er zeigte sich sehr mißtrauisch, empfindlich,
bot deutlich eine depressive Stimmung. Oft traten ihm Tränen in die Augen. Er wünschte »see-
lische Behandlung«. Es gehe ihm ganz schlecht. Er brachte fast alle cyclothymen Klagen vor. -
An die Eifersuchtsideen denke er kaum noch, obgleich er monatelang an ihre Wahrheit geglaubt
habe. Er habe daran gedacht, daß die Frau in der Hochzeitsnacht nicht geblutet habe, und
gemeint, da müsse sie doch schon Beziehungen zu einem Mann gehabt haben. Das habe ihn
noch sehr gequält, aber jetzt sei das überwunden. Dagegen sei trotz des Zurücktretens dieser
Gedanken seine Krankheit nur schlimmer geworden. Seit dem letzten Sommer sei es periodisch
tageweise besser und schlechter gewesen. Jetzt sei es seit 6 Wochen ganz schlecht. Sein Körper
sei auch krank. Es läge ihm schwer auf Brust und Schultern. Die Beine seien wie abgeschlagen,
gerade wie der Kopf, um den beständig ein Reif liege. Er sei oft so gleichgültig, könne nicht mehr
fühlen wie früher, habe dabei oft Angst, so schwere Angst, daß ihm der Schweiß ausbreche. Er
fürchte die Zukunft, halte es für möglich, daß er verrückt werde. Er hat immer gearbeitet und
will auch weiter arbeiten.
Daß die Kritik immer im Gange ist, daß der Affekt des sich Fürchtens vor der Mög-
lichkeit, der Inhalt der Vorstellung könne wahr sein, vorübergehend zum sicheren
Glauben an die Wahrheit führt, während nachher die Idee ganz schwindet, dies
scheint charakteristisch, scheint auch völlig den überwertigen Ideen des täglichen
Lebens zu entsprechen.
Wir müssen uns bewußt sein, daß ein Beibehalten der Idee mit falschem Realitäts-
wert nach Schwinden des Affekts aus jenem psychologischen Mechanismus, der die über-
wertige Idee zu statuieren erlaubte, nicht erklärt werden kann. Wir haben hier etwas
Neues. Aber wir könnten dieses Festhalten, da wir den tatsächlichen Zusammenhang
134 mit affektiver Entstehung kennen, auch | wenn wir ein hinzukommendes Moment
annehmen müssen, als zweite Unterform der überwertigen Idee jener ersten gegen-
überstellen.
Wenn wir dann aber nicht ins Bodenlose geraten wollen, müssen wir das für die
Entstehung unumgänglich notwendige Erlebnis, ohne das diese Form der überwerti-
gen Idee nicht entstanden wäre, unbedingt fordern. Wo wir es nicht nachweisen kön-
nen und wo wir aus den ganzen Umständen keine Anhaltspunkte haben, es zu vermu-
ten, können wir nicht mehr gut von überwertiger Idee sprechen.
Unter diese beschränktere Auffassung einer überwertigen Idee können nun Fälle
wie Mohr und Klug nicht subsumiert werden. Dagegen können wir in den Fällen
 
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