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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0254
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

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ruhigen Dauerzuständen unterscheiden. A priori undenkbar ist es natürlich nicht, daß
auch primär in den Dispositionen, die man als Intelligenz bezeichnet, und ausschließ-
lich in ihnen eine Störung eintritt, die von den sonstigen Intelligenzstörungen nur
durch das Moment der Heilbarkeit verschieden wäre. Wir kennen solche Störungen
jedoch mit Sicherheit bis jetzt nicht. Man darf aber nicht vergessen, daß es besonders
bei organischen Krankheiten Zustände gibt, die man nach Analogie anderer Demenz
nennt, die jedoch noch heilen und remittieren können. Ein Beispiel für viele ist die
Remission der Paralyse. Umgekehrt könnten Defekte tatsächlich dauernd vorhanden
sein (bei ungeheilten Manisch-depressiven), die nicht als Demenz bezeichnet werden,
weil nach den jetzigen Anschauungen die Dispositionen der Intelligenz erhalten sind
und im Prinzip noch einmal wieder aktuell werden können. Diese praktischen Schwie-
rigkeiten werden uns warnen, das Merkmal der »dauernden« Störung zum Dogma zu
erheben.
Schauen wir uns nun nach einer Definition der Demenz um, die dem täglichen, so
weitherzigen Gebrauch des Wortes entspricht, so scheint sehr zutreffend diejenige
Kraepelins (Lehrbuch, 8. Auf!., S. 521): »Man faßte unter dieser Bezeichnung alle
Zustände zusammen, bei denen sich Gedächtnis- und Urteilsschwäche, Gedankenar-
mut, gemütliche Verblödung und Verlust der Selbständigkeit im Denken und Handeln
eingestellt hatte'.«470 Man sieht, jede Art von Leistungsunfähigkeit, sei es in welcher
Hinsicht, wird Demenz genannt. Der Begriff ist so weit, daß wir ihn in seiner Ver-
schwommenheit zu jenen Allgemeinbegriffen rechnen können, die, je mehr sie umfas-
sen, desto inhaltsleerer sind. Aber nicht zu jenen allgemeinen Begriffen, die das wert-
vollste Resultat aller wissenschaftlichen Bemühungen sind, weil die Erwerbung einer
langen Entwicklung sich in ihnen niedergeschlagen hat (wie etwa der Atombegriff),
| sondern zu jenen, weniger Allgemeinbegriffen als Allgemeinvorstellungen, die zur
ersten Orientierung entstehen. Will man die Vorstellung der Demenz in diesem
Umfange beibehalten und doch nicht bei einer nicht abzuschließenden Aufzählung
von Einzelheiten, die zur Demenz gehören, bleiben, bestimmt man wohl den Begriff

Entsprechend lautet eine frühere Definition Kraepelins (Über psychische Schwäche, Archiv f.
Psych. 1882): Psychische Schwäche ist »keine Elementarstörung, wie etwa die Sinnestäuschungen
oder Wahnideen, sondern ist aufzufassen als eine eigenartige Modifikation der gesamten psychi-
schen Persönlichkeit; sie ist kein Symptom, sondern wird erst aus den Symptomen erkannt«. -
Eine kurze Aufzählung der Züge des Schwachsinns im Sinne der Habitusschilderung, doch beherrscht
von psychologischen Begriffen und in späterer Zeit kaum besser geleistet, findet man bei
Emminghaus, Allg. Psychopath., S. 267. Diese »Habitusschilderungen« des Schwachsinns sind
natürlich enorm zu variieren, nur der Sprachschatz setzt eine Grenze. Zählt man einzelne Bezeich-
nungen aus solchen Schilderungen auf, so entsteht ein unübersichtliches Gewirr, wie man es
manchmal in der Literatur lesen kann. Eine solche Aufzählung bringt der Klarheit über die De-
menz nicht näher. Ist eine solche Übersicht gut, so ist sie natürlich brauchbar als Hinweis auf al-
les, was dahin gerechnet wird. Hierfür ist Tuczek, Über Begriff und Bedeutung der Demenz, Mo-
natsschr. f. Psych. u. Neur. 14, zu empfehlen.

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