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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0265
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Die Methoden der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz

schule484 in neuerer Zeit entwickelt hat*. Es ist der Gegensatz der »Empfindungen« und
»Akte«. Verfolgt die atomistisch denkende »Assoziationspsychologie« das Ziel, alle
Bewußtseinsinhalte aus Kombinationen letzter Elemente, der einfachen Empfindun-
gen und ihrer Gefühlstöne zu begreifen, so erkennt diese »Funktionspsychologie«, daß
als nicht weiter zurückführbares Element in jeder Wahrnehmung der »Akt« des »Mei-
nens« eines Gegenstandes, das »innere Gerichtetsein«, die »Intention« auf den Gegen-
stand liegt. Durch diesen Akt wird das Chaos der Empfindungen gewissermaßen beseelt,
während die Empfindungen es sind, die dem Gegenstand der Intention die Anschau-
lichkeit verleihen. Auch eine Empfindung kann Gegenstand des Meinens sein, aber
meist nur beim Psychologen, sonst werden bei Wahrnehmungen nicht die Empfin-
dungskomplexe, sondern die Gegenstände gemeint. Ebenso äußert sich Stumpf:485
Empfindungen sind »Erscheinungen«, sie liegen eigentlich außerhalb des Bereiches der
Psychologie, die es mit »Funktionen« zu tun hat, die den »Akten« Messers entspre-
chen“.486 Die Arten der Akte festzustellen und sie näher zu analysieren, ist Aufgabe der
Psychologie. Man darf vielleicht hoffen, daß sie uns in dieser Richtung noch einmal
eine natürliche Klassifizierung der Intelligenzfunktionen in die Hand gibt. Schon jetzt
können wir durch sie deutlich begreifen, was jeder fühlte, daß die wohl gebräuchliche
Einteilung der Intelligenzprüfung nach Sinnesgebieten ganz sinnlos ist, weil diese Ein-
teilung überhaupt die Intelligenz nicht trifft, sondern nur die Mittel, in deren »Besee-
lung« durch Akte sie sich bestätigt. - Ferner sehen wir ein, daß wir schon bei der Inven-
taraufnahme nicht bloß Vorstellungen als Empfindungskomplexe prüfen, sondern
auch Akte. Und wenn manchmal Erörterungen über Inventaraufnahmen den Eindruck
machen, als ob zwar die Elemente des Inventars verschieden seien, die Aufgabe jedoch
186 nur in der Feststellung der Quantität der vorhandenen bestehe, so machen uns | die
neuen Begriffe klar, was es bedeutet, wenn die Psychiater immer betonen, daß es nicht
auf die Menge der Vorstellungen, sondern auf ihre Klarheit und Deutlichkeit"', auf ihre
»Zerlegtheit« (Berze)487 usw. ankomme. Es sind die Eigentümlichkeiten der Akte als
eigentlicher Intelligenzleistungen, die hier gemeint sind. - Alle die Erörterungen über
die Arten von Begriffen, die eventuell fehlen, und über Urteile in ihrer Besonderheit bei
Schwachsinn beschäftigen sich, je sinnvoller sie dem Leser erscheinen, desto mehr mit
den Akten. Was man bei der Lektüre undeutlich fühlte, scheint durch diese neue Denk-

i Vgl. das ausgezeichnet klare Buch von Messer, Empfindung und Denken, Leipzig 1908, das die
Resultate der Originalarbeiten mit den hierher gehörigen Resultaten Husserls zusammenfaßt.
ü Es ist unmöglich, eine grundlegende Lehre mit kurzen Worten in verständlicher Weise zu referie-
ren. Es muß für jeden, der durch die erschöpfte Assoziationspsychologie nicht mehr befriedigt
wird, auf die Lektüre Messers verwiesen werden, bei dem er die Originale zitiert findet.
üi Spielmann (S. 295) betont die Undeutlichkeit der Wahrnehmungen und Vorstellungen beim
Schwachsinn.
 
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