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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0388
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Die Trugwahrnehmungen

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wohl aber mit dem geistigen Auge, sofern - wie bei mir - die hierzu erforderliche Beleuchtung
des inneren Nervensystems durch Strahlen geliefert wird.786
(Einseitige Halluzinationen.) Einseitige Halluzinationen (vollständige Literatur bis
1894 bei Higier/87 ferner Uhthoff S. 248 ff., viele Einzelarbeiten) sind auf dem Gebiet
des Gehörs, des Gesichts und des Tastsinns beschrieben. Das Gemeinsame dieser Fälle
ist, daß nur entsprechend einem Auge, entsprechend einem Ohr, oder nur auf der
einen Körperseite Trugwahrnehmungen vorkommen. Ein großer Teil der Fälle hängt
mit somatisch greifbaren, einseitigen Affektionen zusammen. Einseitige Ohrerkran-
kungen, intraokuläre Erkrankungen, Halbseitenerscheinungen hängen irgendwie mit
ihnen zusammen. Über die hemianopischen Trugwahrnehmungen wurde unter dem
Gesichtssinn berichtet. Ein weiterer Teil der Fälle aber ist nicht auf solche anatomische
Unterlagen zu beziehen. Ein Paranoiker z.B. hört die ihn plagenden Stimmen der Dru-
den immer nur rechts und sagt, daß diese Wesen ihm nur zur rechten Seite wären
(Hagen S. 60). Eine besondere Form dieser einseitigen Halluzinationen sind die ant-
agonistischen. Auf dem einen Ohr hören die Kranken beleidigende, auf dem andern
Ohr aufmunternde Stimmen.
(Zusammenhänge der Trugwahrnehmungen.) Wir haben bisher im wesentlichen von
einzelnen Trugwahrnehmungen einzelner Sinnesgebiete oder gar einzelnen Empfin-
dungen gehandelt. Nun ist die Frage, welche inneren Zusammenhänge bestehen zwi-
schen den Trugwahrnehmungen untereinander, zwischen denen mehrerer Sinne und
zwischen Trugwahrnehmungen und realen Wahrnehmungen. Es gibt Trugwahrneh-
mungen, die in gleicher Weise (z.B. immer dasselbe Wort, immer ein bestimmter Vogel)
dauernd wiederkehren (stabile Halluzinationen Kahlbaums) und wechselnde, die
immer Neues bringen (erethische270 Halluzinationen Kahlbaums). Bei den ersteren,
den stabilen, kann von einem Zusammenhang nicht viel die Rede sein. Auch die Mehr-
zahl der letzteren befindet sich in einer sinnfälligen Inkongruenz zu den realen Wahr-
nehmungen und hat in sich keinen durchgehenden Zusammenhang. Doch bestehen
in der Ausbildung solcher Zusammenhänge große Verschiedenheiten. Für die Pseudo-
halluzinationen schildert Kandinsky zwei Typen (S. 157 ff.), die wir schematisch und von
anderen Gesichtspunkten gereinigt wiedergeben. Erstens zusammenhangslose: vollkom-
men unabhängig vom Willen treten einzelne (stabile und wechselnde) Pseudohalluzi-
nationen ins Bewußtsein. Sie | haben weder mit den jeweiligen Gedanken noch unter 296
sich einen inhaltlichen Zusammenhang. Sie beschränken sich meist auf einen Sinn;
treten gleichzeitig z.B. Gehörs- und Gesichtshalluzinationen auf, so passen beide nicht
zueinander und sind ohne Beziehung. Zweitens zusammenhängende: wechselnde, oft
massenhafte Pseudohalluzinationen treten in Zusammenhang mit den jeweiligen
Gedanken auf. Sie bilden untereinander inhaltliche Zusammenhänge, Szenen. Waren
die zusammenhangslosen immer gleich an Detailliertheit, Deutlichkeit und Sinnesad-
äquatheit, so sind diese zusammenhängenden ganz wechselnd in dieser Hinsicht und
 
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