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Jaspers, Karl; Marazia, Chantal [Hrsg.]; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 3): Gesammelte Schriften zur Psychopathologie — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69896#0449
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Kausale und »verständliche« Zusammenhänge

»Jetzt ist man io Jahre verheiratet und hockt nun allein.« »Wenn sie nicht will, laß sie laufen.«
»Es ist doch nicht schön, wenn man zu fremden Leuten heimgeht.« Solche Gedanken und an-
dere kamen ihm abends. Morgens ging er gleich zur Arbeit, schaffte den ganzen Tag - die Arbeit
wurde ihm leicht -, dachte an nichts, aber abends um 7, wenn er heimging, dann gings los. Er
sprach sich gar nicht aus. Keinem seiner Kameraden hat er irgend etwas erzählt. Seinen Heim-
weg des Abends nahm er so, daß er am Hause seiner Schwiegermutter vorbeikam, um im Vor-
350 beigehen die Kinder zu sehen. Manchmal gelang das, | meist nicht. Dann aß er zu Nacht, blieb
allein und ging um 10 Uhr ins Bett. Geschlafen hat er gut und nicht auffallend geträumt.
Während der ganzen Zeit, seitdem die Möbel abgeholt waren, hat er seine Frau noch dreimal
gesehen: am selben Tag (7. Mai) und zwei Tage später ging er zu ihr, die nun bei der Schwieger-
mutter wohnte, um sie zur Rückkehr zu veranlassen. Es war vergeblich. Am 27. Mai (Pfingstmon-
tag) ging er in die Wirtschaft, in der seine Frau als Kellnerin tätig war, um sie zu sprechen. Es
ging nicht, weil zu viele Leute da waren und weil sie bedienen mußte. »Zur Vorsehung« hatte er
daher schon einen Brief geschrieben, den er ihr gab mit den Worten, sie könne ihn zu Hause
lesen. Darin stand, daß es so nicht weiter gehe, sie solle es sich genau überlegen, sie wollten wie-
der Zusammenleben, »er tät versuchen, auf gütlichem Wege die Sache in Ordnung zu bringen«.
Wenn sie das nicht wolle, würde er ihr die Kinder entziehen und dem Waisenrat zur Erziehung
geben. Er machte sie auf ihren Ruf aufmerksam, darauf, was die Leute reden würden usw. Die
Frau machte diesen Brief sogleich auf, las etwas davon, zerriß ihn dann und warf ihn ins Feuer.
Die Wirtin schaute beim Lesen spöttisch mit hinein. K. war außerordentlich aufgeregt, blieb
aber sitzen und betrank sich mit zwei Kameraden. Abends ging er früh zu Bett.
K. versichert bestimmt, während der ganzen Zeit mit keinem Mädchen irgendwelche Bezie-
hungen gehabt oder geschlechtlich verkehrt zu haben. Er habe gar keinen Versuch in der Rich-
tung gemacht. »Jeder hat ein anderes Genie.«
Anfangs hatte er gedacht: die Weiber kommen immer gleich zurück, kommen sie nicht in
drei Stunden, kommen sie in drei Tagen, kommen sie nicht in drei Tagen, kommen sie in drei
Wochen, kommen sie nicht in drei Wochen, dann kommen sie überhaupt nicht mehr. Jetzt war
die Zeit abgelaufen, er dachte: sie kommt nicht mehr. Er nahm es zunächst »auf die leichte Ach-
sel«, tat die ersten Schritte zur Ehescheidung und dazu, der Frau die Kinder entziehen zu lassen,
wurde vorgeladen, regte sich dann aber sehr auf, ließ die Sache auf sich beruhen, wurde ruhiger
und dachte: »Ich überlege mirs mal, geh zur Arbeit.«
Am Sonnabend, 1. Juni, arbeitete er bis zum Abend, war dann nicht ganz wohl, unruhig und
ängstlich. Es waren die ersten Vorboten der Psychose, die er in den nächsten Tagen in Mannheim
durchmachte. Samstag (8. Juni) kam er in die hiesige Klinik und bot keine psychischen Erschei-
nungen mehr.
Die objektive Anamnese ist dürftig. Die Wirtin, bei der er die letzten Wochen wohnte, schil-
dert ihn als einen fleißigen und nüchternen Arbeiter. In der Nacht vom Sonntag auf Montag sei
er unruhig geworden, sah Gestalten auf sich zukommen, die ihm etwas an tun wollten. Er fürch-
tete, seine Frau dringe ins Zimmer, verhängte die Fenster. Am Dienstag kam er ins Krankenhaus,
war meist ruhig, dann wieder in allgemeiner Unruhe, schrappte auf dem Boden: seine Frau säße
darunter; er höre und sehe sie. Die Flecke auf dem Boden sind ihm die Augen anderer Leute. In
der Nacht vom Donnerstag auf Freitag war er sehr unruhig, klopfte an die Türen, sagte, der Dok-
tor habe Geld gewonnen, das müsse er sich abholen.
Sehr eingehend ist Klinks Selbstschilderung der Psychose. Er bleibt sich in seinen Angaben
mündlich und schriftlich durchaus gleich und hat offenbar eine ausgezeichnete, konstante
 
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