Einleitung des Herausgebers
Die Psychologie der Weltanschauungen gilt als eines der bedeutendsten, aber auch rätsel-
haftesten Werke von Karl Jaspers - ein Buch, mit dem sich nicht nur seine Wandlung
vom Psychologen zum Philosophen verbindet, sondern dem 1919 angesichts der neu-
kantianischen Nüchternheit transzendentalphilosophischer Reflexion und der Ab-
kehr der experimentellen Psychologie von der Seele1 die Aura eines Neubeginns im An-
bahnen eines auf die menschliche Existenz gerichteten Denkens anhaftete.2
Obwohl dem Anspruch nach ein psychologisches Buch, charakterisiert Jaspers das
Werk im Rückblick als seine »erste philosophische Äußerung«.3 Die Psychologie der
Weltanschauungen sei, wie er 1941 im italienischen Logos bekennt, »verborgene Philo-
sophie« gewesen, »die sich hier als objektiv feststehende Psychologie mißverstand«.4
Trotz der schon früh einsetzenden Distanzierung war und blieb die Schrift für Jaspers
ein wichtiges Übergangswerk und ein Wegweiser für sein existenzphilosophisches
Denken, wie seine spätere Charakterisierung des Buches als »im historischen Rück-
blick [...] früheste Schrift der später so genannten modernen Existenzphilosophie«5
1 Der Philosoph Friedrich Albert Lange (1828-1875), der sowohl als Gründungsvater des Neukan-
tianismus als auch der objektiven, positivistischen Psychologie gilt, stellte 1865 erstmals die For-
derung auf, eine »Psychologie ohne Seele« zu betreiben - ein Postulat, das von der experimentel-
len Psychologie dankbar aufgenommen wurde (vgl. F. A. Lange: Geschichte des Materialismus und
Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Leipzig 1865, 465).
2 Jaspers schreibt in seiner Philosophischen Autobiographie, Heidegger habe ihm gegenüber das Buch
»als einen Neubeginn bejaht«. Dort berichtet Jaspers auch, er habe im Zusammenhang mit sei-
ner Bewerbung in Kiel 1921 erfahren, dass Götz Martius bei Beratungen über seinen Nachfolger
über das Buch geurteilt haben soll, bei der Lektüre sei ihm »zumute gewesen, als ob in der deut-
schen Philosophie noch einmal ein Frühling beginne. [Ich war] betroffen. Das Urteil war zu hoch
gegriffen, traf aber die Stimmung, in der das Buch uns erwachsen war« (a.a.O., 95, 33). Vgl. zu
Heideggers Rezeption der Psychologie der Weltanschauungen: M. Heidegger: »Anmerkungen zu Karl
Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen«, GA 9,1-44; vgl. hierzu auch: Einleitung zu diesem
Band, LXII-LXVII.
3 Vorwort zur vierten Auflage der Psychologie der Weltanschauungen; in diesem Band, 7.
4 K. Jaspers: »Über meine Philosophie«, 427; EV: »La filosofia dell’esistenza nel mio sviluppo spiri-
tuale«, übersetzt von R. de Rosa, mit Anmerkungen von A. Aliotta, in: Logos. Rivista trimestrale di
filosofia e di storia della filosofia, Nr. 5 (1941) 227-259; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Textes:
S. Achella: »Karl Jaspers in Italien vor und nach 1945«, in: Offener Horizont. Jahrbuch der Karl
Jaspers-Gesellschaft, Bd. 2 (2015) 58-65.
5 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 33; EV in: P. A. Schlipp (Hg.): Karl Jaspers, Stuttgart 1957,
1-80. Da der Philosophischen Autobiographie das Kapitel über Martin Heidegger erst nach dessen
Tod beigefügt wurde, wird im Folgenden nach der als eigenständige Publikation erschienenen er-
weiterten Neuausgabe (München 1977,2. Auflage 1984) zitiert.
Die Psychologie der Weltanschauungen gilt als eines der bedeutendsten, aber auch rätsel-
haftesten Werke von Karl Jaspers - ein Buch, mit dem sich nicht nur seine Wandlung
vom Psychologen zum Philosophen verbindet, sondern dem 1919 angesichts der neu-
kantianischen Nüchternheit transzendentalphilosophischer Reflexion und der Ab-
kehr der experimentellen Psychologie von der Seele1 die Aura eines Neubeginns im An-
bahnen eines auf die menschliche Existenz gerichteten Denkens anhaftete.2
Obwohl dem Anspruch nach ein psychologisches Buch, charakterisiert Jaspers das
Werk im Rückblick als seine »erste philosophische Äußerung«.3 Die Psychologie der
Weltanschauungen sei, wie er 1941 im italienischen Logos bekennt, »verborgene Philo-
sophie« gewesen, »die sich hier als objektiv feststehende Psychologie mißverstand«.4
Trotz der schon früh einsetzenden Distanzierung war und blieb die Schrift für Jaspers
ein wichtiges Übergangswerk und ein Wegweiser für sein existenzphilosophisches
Denken, wie seine spätere Charakterisierung des Buches als »im historischen Rück-
blick [...] früheste Schrift der später so genannten modernen Existenzphilosophie«5
1 Der Philosoph Friedrich Albert Lange (1828-1875), der sowohl als Gründungsvater des Neukan-
tianismus als auch der objektiven, positivistischen Psychologie gilt, stellte 1865 erstmals die For-
derung auf, eine »Psychologie ohne Seele« zu betreiben - ein Postulat, das von der experimentel-
len Psychologie dankbar aufgenommen wurde (vgl. F. A. Lange: Geschichte des Materialismus und
Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Leipzig 1865, 465).
2 Jaspers schreibt in seiner Philosophischen Autobiographie, Heidegger habe ihm gegenüber das Buch
»als einen Neubeginn bejaht«. Dort berichtet Jaspers auch, er habe im Zusammenhang mit sei-
ner Bewerbung in Kiel 1921 erfahren, dass Götz Martius bei Beratungen über seinen Nachfolger
über das Buch geurteilt haben soll, bei der Lektüre sei ihm »zumute gewesen, als ob in der deut-
schen Philosophie noch einmal ein Frühling beginne. [Ich war] betroffen. Das Urteil war zu hoch
gegriffen, traf aber die Stimmung, in der das Buch uns erwachsen war« (a.a.O., 95, 33). Vgl. zu
Heideggers Rezeption der Psychologie der Weltanschauungen: M. Heidegger: »Anmerkungen zu Karl
Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen«, GA 9,1-44; vgl. hierzu auch: Einleitung zu diesem
Band, LXII-LXVII.
3 Vorwort zur vierten Auflage der Psychologie der Weltanschauungen; in diesem Band, 7.
4 K. Jaspers: »Über meine Philosophie«, 427; EV: »La filosofia dell’esistenza nel mio sviluppo spiri-
tuale«, übersetzt von R. de Rosa, mit Anmerkungen von A. Aliotta, in: Logos. Rivista trimestrale di
filosofia e di storia della filosofia, Nr. 5 (1941) 227-259; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Textes:
S. Achella: »Karl Jaspers in Italien vor und nach 1945«, in: Offener Horizont. Jahrbuch der Karl
Jaspers-Gesellschaft, Bd. 2 (2015) 58-65.
5 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 33; EV in: P. A. Schlipp (Hg.): Karl Jaspers, Stuttgart 1957,
1-80. Da der Philosophischen Autobiographie das Kapitel über Martin Heidegger erst nach dessen
Tod beigefügt wurde, wird im Folgenden nach der als eigenständige Publikation erschienenen er-
weiterten Neuausgabe (München 1977,2. Auflage 1984) zitiert.