Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0010
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung des Herausgebers

IX

selbst hatte sich - anders als viele seiner intellektuellen Zeitgenossen8 - nie für den
Krieg erwärmen können.9 Einen Tag vor der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an
das Königreich Serbien schrieb er: »Mir ist das ganze deutsche Reich egal, ich sehe nir-
gends den Quell irgend einer echten Begeisterung.«10 Aufgrund seiner Krankheit kör-
perlich eingeschränkt11 und von allen militärischen und ärztlichen Fronteinsätzen
entbunden, blieben Jaspers’ Kriegserfahrungen weitgehend auf die Schilderungen der
Kriegserlebnisse seines Bruders Enno und die mit dem Krieg verbundenen Nöte des
universitären Lebens und der Versorgung beschränkt. Für die Erarbeitung einer Welt-
anschauungstypologie bot das Kriegsgeschehen in Jaspers’ Augen offenbar keine re-
levanten Anhaltspunkte. Stattdessen stand das Projekt deutlich unter dem Eindruck
dreier kultur- und geistesgeschichtlicher Phänomene: der seit Mitte des 19. Jahrhun-
derts in aller Breite florierenden Weltanschauungsliteratur, der »Wertphilosophie«
und dem »Psychologismus-Streit« in der Philosophie und Psychologie.
2. Die Weltanschauungsliteratur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Der vordergründige Gegenstandsbereich von Jaspers’ Werk, die »Weltanschauung«,
war zur Entstehungszeit der Psychologie der Weltanschauungen alles andere als exotisch.
Im Gegenteil: Der Erfolg des innerhalb von sechs Jahren zwei Mal neu aufgelegten Bu-
ches beruhte nicht allein auf dem Gewicht seines Inhalts, sondern auch darauf, dass
Jaspers mit ihm einen Nerv seiner Zeit traf. Die Diskussion um die »rechte« Weltan-
schauung war - zumal in Kriegszeiten, in denen propagandistische Polarisierungen an
der Tagesordnung waren - in aller Munde. Aber nicht nur in politischer Hinsicht hatte
der Weltanschauungsbegriff eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Auch kultur-
geschichtlich stand die Auseinandersetzung mit der Weltanschauungsfrage für eine

8 Darunter Rudolf Eucken, Max Scheier, Georg Simmel, Ernst Troeltsch, Max Weber und Wilhelm
Wundt (vgl. E. Troeltsch: Nach Erklärung der Mobilmachung: Rede gehalten bei der von Stadt und
Universität einberufenen vaterländischen Versammlung am 2. August 1914, Heidelberg 1914; L. Pe-
ter: »Elan vital, Mehr-Leben, Mehr-als-Leben. Lebensphilosophische Aspekte bei Henri Berg-
son und Georg Simmel«, in: Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1984, hg. von C. Klingemann u.a.,
7-46, 26).
9 Vgl. zu Jaspers’ Positionierung zum Ersten Weltkrieg: D. Kaegi, B. Weidmann: »»Meine Hoffnung
war, Deutschland möge ihn gewinnen^ Karl Jaspers, der Erste Weltkrieg und die Philosophie«, in:
I. Runde (Hg.): Die Universität Heidelberg und ihre Professoren während des Ersten Weltkriegs, Heidel-
berg 2017, 99-121.
10 K. Jaspers an die Eltern, 27. Juli 1914. Schon im April hatte Jaspers bekundet: Ȇbrigens bin ich in
keinerlei Begeisterung. Einen Krieg für Deutschland kann man doch nur als sinnlos und ideen-
los empfinden. Ob wir verlieren oder siegen, wir haben nur Schaden« (K. Jaspers an die Eltern,
27. April 1914).
11 Jaspers litt unter Bronchiektasie und sekundärer Herzinsuffizienz, wodurch er zu einer strengen
und restriktiven Lebensführung gezwungen war. Seine Krankheitsgeschichte hat er detailliert do-
kumentiert in: »Krankheitsgeschichte« [1938].
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften