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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0022
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Einleitung des Herausgebers

XXI

minent vertreten durch John Stuart Mill, dessen Werk A System ofLogic76 seit 1849 auch
den deutschen Diskurs stark beeinflusste, zeichnet sich dabei vor allem durch eine an-
timetaphysische Grundhaltung und die Reduktion der Wirklichkeit auf ein nach dem
Vorbild naturwissenschaftlicher Theorien konturiertes Grundprinzip, durch einen na-
turalistischen Monismus aus.77 Der Psychologismus war so Ausdruck des Versuchs, »au-
ßerpsychologische Probleme mit psychologischen Mitteln zu lösen« und leitete damit nicht
weniger als einen »Prozeß der totalen Psychisierung der Gedanken und der Werte« ein.78
Unter dem Eindruck der Erfolge der experimentellen Psychologie entwickelte sich
diese Perspektive trotz des ursprünglichen Konsolidierungsanliegens der Philosophie
allerdings rasch in Richtung einer Selbstbehauptungsdebatte. Versuche wie derjenige
Theodor Lipps’, der Philosophie ihren Status als Grundlagenwissenschaft des Denkens
streitig zu machen, indem er die Regeln des Denkens als »identisch mit den Naturge-
setzen des Denkens selbst« setzte,79 erhärteten den Verdacht, die Psychologie arbeite
weniger an den Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Fundierung der Philosophie
als vielmehr an deren Verdrängung als wissenschaftliche Königsdisziplin.
Die Debatte rief schließlich zwei philosophische Kontrahenten des Psychologis-
mus auf den Plan: Gottlob Frege und Edmund Husserl. Beide unternahmen den Ver-
such, dem Psychologismus vor allem in erkenntnistheoretischer Hinsicht seine Wi-
dersprüchlichkeit nachzuweisen.80 So hob Frege 1884 in seinen Grundlagen der
Arithmetik hervor, dass die Psychologie zur Begründung der Arithmetik nichts beizu-
tragen habe, da die Wahrheit der Gesetze der Arithmetik, ebenso wie des Begriffs der
Zahl, unabhängig davon seien, ob sie vom Menschen erkannt oder beherrscht wür-
den.81 Das allgemeinere und schlagendere Argument lieferte Edmund Husserl 1900 in
den Logischen Untersuchungen. Dort hob er hervor, dass eine psychologische Begrün-
dung der Logik als widersinnig angesehen werden müsse, weil alle psychischen Akte
individuelle Realitäten seien, logische Gesetze ihrem Sinn nach aber allgemein ohne
Bezug auf empirische Tatsachen.82 Der Siegeszug der positivistischen Psychologie war
aber auch durch eine erkenntnistheoretische Grundlagenkritik nicht mehr aufzuhal-
ten - zu drückend erschien die Evidenz des vermeintlich unmittelbar Gegebenen.

76 Vgl. J. S. Mill: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Being a Connected View ofthe Principles
and the Methods ofScientific Investigation, 2 Bde., London 1843 (dt. 1849); vgl. hierzu: M. Rath: Der
Psychologismusstreit, 128-142.
77 Vgl. C. Gutberiet: »Die >Krisis der Psychologie^, in: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft,
Bd. 11 (1898) 1-19,17.
78 H. Pfeil: Der Psychologismus im englischen Empirismus, Paderborn 1934, 2,15.
79 Vgl. T. Lipps: »Die Aufgabe der Erkenntnistheorie und die Wundt’sche Logik«, 531.
80 Vgl. H. Pfeil: Der Psychologismus, 179.
81 Vgl. G. Frege: Die Grundlagen der Arithmetik: Eine logisch mathematische Untersuchung über den Be-
griff der Zahl, hg. von C. Thiel, Hamburg 1988, 7-10.
82 Vgl. E. Husserl: Logische Untersuchungen, Bd. 1: Prolegomena zur reinen Logik, in: Husserliana,
Bd. XVIII, hg. von E. Holenstein, The Hague 1975, bes. 77-80.
 
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