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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0023
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XXII

Einleitung des Herausgebers

Ihren Höhepunkt erreichte die Psychologismus-Kontroverse trotz allem nicht in einem
wissenschaftlichen, sondern in einem hochschulpolitischen Disput. Hintergrund war
die noch immer übliche akademische Personalunion von Philosoph und Psychologe -
eine Union, die vor allem finanz- und kulturpolitische Gründe hatte und die zunehmend
dazu führte, dass philosophische Lehrstühle mit Vertretern der experimentellen Psycho-
logie besetzt wurden.831912 entfachte Paul Natorp einen Streit um die Besetzung des Lehr-
stuhls des Marburger Neukantianers Hermann Cohen durch den experimentellen Straß-
burger Psychologen Erich Jaensch.84 Im Anschluss an einen wütenden Zeitungsartikel
Natorps85 verfassten Rudolf Eucken, Edmund Husserl, Paul Natorp, Wilhelm Windelband
und Heinrich Rickert eine Erklärung, die sich »gegen die Besetzung philosophischer Lehr-
stühle mit Vertretern der experimentellen Psychologie« wandte und von 107 Philosophie-
dozenten in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichnet wurde.86 Das von
Rickert in Auseinandersetzung mit Wilhelm Wundts Versuch einer Deeskalation unter-
strichene Ziel, Spezialwissenschaftler von philosophischen Lehrstühlen fernzuhalten,87
markierte den Wendepunkt, der das ursprüngliche Ziel, die Philosophie durch die Psy-
chologie wissenschaftlich zu fundieren, endgültig scheitern ließ.88
Für Jaspers’ akademische Karriere war diese Entwicklung vor allem in der Hinsicht
wesentlich, dass er als Mediziner den Protagonisten der Heidelberger Philosophischen
Fakultät weit weniger eines Substitutionsanliegens verdächtig erschien als die Vertre-
ter der sogenannten »experimentellen Psychologie«.
5. Jaspers als Psychologe
Die Transformation des Mediziners Jaspers zum Philosophen war auch für seine Zeit
höchst ungewöhnlich.89 Jaspers hatte nach der frühen Aufgabe seinesJurastudiums in
Berlin, Göttingen und Heidelberg Medizin studiert, promovierte 1908 in Heidelberg
mit der psychiatrischen Studie Heimweh und Verbrechen und erlangte 1909 die Appro-
bation als Arzt.90 Eine zentrale Rolle für Jaspers’ akademische Karriere spielte seit 1906

83 Vgl. H. Gundlach: Wilhelm Windelband, 12.
84 Vgl. M. Rath: Der Psychologismusstreit, 254.
85 Vgl. P. Natorp: »Das akademische Erbe Hermann Cohens. Psychologie oder Philosophie?«, in:
Frankfurter Zeitung (12.10.1912).
86 Vgl. F. Hillebrand: »Die Aussperrung der Psychologen«, in: Zeitschrift für Psychologie und Physiolo-
gie der Sinnesorgane, 1. Abteilung: Zeitschrift für Psychologie, Bd. 67 (1913) 1-21.
87 Vgl. M. Rath: Der Psychologismusstreit, 261.
88 Vgl. ebd., 273.
89 Vgl. zu den Umständen seiner Berufung: »Karl Jaspers - Ein Selbstporträt« [1966/67], 26-27; H.-F.
Fulda: »Der Philosoph Karl Jaspers«, 83-88; C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der
Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, Berlin 2002, 94,107.
90 Vgl. H. Saner: Karl Jaspers mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg "1999,
19-24-
 
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