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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0024
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Einleitung des Herausgebers

XXIII

der Heidelberger Psychiater Karl Wilmanns, der ihn für die Wissenschaft gewinnen
konnte, ihm das Heimweh als Thema für seine Dissertation vorschlug und ihm um-
fangreiche Materialien zur Verfügung stellte.91 Vermittelt durch Wilmanns wurde
Jaspers 1909 Voluntärassistent an der von Franz Nissl geleiteten Heidelberger Psychi-
atrischen Klinik, wo Jaspers bis 1915 arbeitete. Seine Sonderstellung, unter Verzicht auf
ein Gehalt und aufgrund seiner Krankheit von regelmäßigen Verpflichtungen entbun-
den dennoch psychiatrische Erfahrungen sammeln, eigene Experimente tätigen und
an regelmäßigen Diskussionsrunden teilnehmen zu können, führte zusammen mit
seinen zwischen 1910 und 1911 erschienenen Publikationen92 dazu, dass der Springer-
Verlag 1911, wiederum vermittelt durch Karl Wilmanns, mit dem Anliegen an Jaspers
herantrat, ein Lehrbuch der Psychopathologie zu verfassen.93 Mit der zwei Jahre dar-
auf erschienenen Allgemeinen Psychopathologie gelang Jaspers der wissenschaftliche
Durchbruch.94 Das Werk, in dem er in bislang nicht gekannter Klarheit und auf Basis
einer breit gefächerten Kenntnis des psychiatrischen Diskurses seiner Zeit Grundla-
gen einer »Verstehenden Psychopathologie« zur Darstellung brachte, setzte in seiner
methodologischen Reflektiertheit, seiner klaren Gegenstandskonturierung und sei-
nem hermeneutischen Zugang neue Maßstäbe und avancierte rasch zum Standard-
werk der phänomenologischen Psychopathologie.

91 Jaspers schreibt in einem Brief an Wilmanns anlässlich seines 60. Geburtstages am 26. Juli 1933:
»Auch ich gehöre zu denen, die Grund haben, sich zu erinnern, wie viel sie Ihnen verdanken. Sie ha-
ben mir die wissenschaftliche Laufbahn geöffnet: Noch steht mir lebhaft vor Augen, wie Sie im Som-
mer 1906 mich auf der Strasse vor der Klinik anredeten mit der Frage, ob ich nicht eine wissenschaft-
liche Arbeit machen wolle. [...] Dann gaben Sie mir als Thema der Dissertation das Heimweh, für das
Sie Fälle, Literatur und Grundgedanken schon bereit hatten, sodass mir nur Ausarbeitung und Er-
weiterung blieb. Als ich durch Ihre Mithilfe in den weiten Kreis der an der Klinik Arbeitenden aufge-
nommen war, gaben Sie 1911 den unmittelbaren Anstoss zu meiner Allgemeinen Psychopathologie.
[...] Ohne Sie hätte ich die Arbeit nie gewagt, ohne Ihre Fürsorge wäre dies Werk und damit diese Ge-
stalt meines wissenschaftlichen Lebensweges nicht entstanden, und ohne die damaligen Grundge-
danken der Heidelberger Klinik, an deren Schöpfung Sie den grössten Anteil hatten, wäre der Inhalt
meiner Psychopathologie nicht möglich gewesen. Ich darf mich dankbar als Ihren Schüler beken-
nen« (K. Jaspers an K. Wilmanns, 26. Juli 1933, in: K. Jaspers: Korrespondenzen 1,620).
92 »Eifersuchtswahn. Ein Beitrag zur Frage: »Entwicklung einer Persönlichkeit oder >Prozeß<?«, in:
Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Originalien, Bd. 1 (1910) 567-637; »Die Metho-
den der Intelligenzprüfung und der Begriff der Demenz. Kritisches Referat«, in: Zeitschrift für die
gesamte Neurologie und Psychiatrie. Referate und Ergebnisse, Bd. 1 (1910) 401-452; »Zur Analyse der
Trugwahrnehmungen (Leibhaftigkeit und Realitätsurteil)«, in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie
und Psychiatrie. Originalien, Bd. 6 (1911) 460-535. Die Aufsätze sind später erschienen in: K. Jaspers:
Gesammelte Schriften zur Psychopathologie, Berlin u.a. 1963 (KJG1/3). Ferner veröffentlichte Jaspers
mehrere Rezensionen psychiatrischer Schriften (vgl. zu den einzelnen Titeln: C. Rabanus: Primär-
bibliographie der Schriften Karl Jaspers’, Tübingen 2000).
93 Vgl. K. Jaspers: Korrespondenzen I, 616-617, 620.
94 Vgl. zum Stellenwert des Buches im psychopathologischen Diskurs: T. Fuchs u.a. (Hg.): Karl
Jaspers - Phänomenologie und Psychopathologie, Freiburg i.Br., München 2013; G. Stanghellini,
T. Fuchs (Hg.): One Century ofKarl Jaspers’ General Psychopathology, Oxford 2013.
 
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