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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0035
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XXXIV

Einleitung des Herausgebers

sondere mit Blick auf die Verwendung der Gehäusemetapher.163 Auffällig ist in diesem
Zusammenhang, dass Jaspers den Weber’schen Begriff des Gehäuses, den dieser als
»stahlhartes Gehäuse« zur Kennzeichnung der rationalen und bürokratischen Bin-
dungskräfte der kapitalistischen Lebensordnung verwendet hatte,164 zwar übernahm,
diesen jedoch zu einem allgemeinen Prinzip geistigen Lebens erklärte - ein Verständnis,
das entweder als Projektion der Gehäusemetapher auf Diltheys Vorstellungen von Gel-
tung und Verfall der Weltanschauungen gelesen werden kann, oder aber als auffällige
Analogie zu Simmel. Denn für Simmel bildet die Gehäusemetapher einen Sammelbe-
griff für kulturelle Objektivationen - Gehäuse sind für ihn Formen »der Festigkeit, des
Geronnenseins« des Geistes.165 Konkrete Anhaltspunkte für einen Einfluss Simmels auf
Jaspers lassen sich jenseits inhaltlicher Parallelen allerdings bislang nicht auffinden.
8. Jaspers’ »Verstehende Psychologie«
In seinem 1912 erschienenen Aufsatz »Die phänomenologische Forschungsrichtung
in der Psychopathologie«166 umreißt Jaspers bereits das Programm, das nicht nur für
seine Allgemeine Psychopathologie maßgebend wurde, sondern auch die Grundlage für
die Psychologie der Weltanschauungen bildet. Im Gegensatz zur »objektiven«, oder »Leis-
tungspsychologie«, 167 die auf der Auswertung experimentell gewonnener Daten be-
ruht, nach Jaspers aber eine »Psychologie ohne Seelisches«168 zur Konsequenz hat,
nehme die »subjektive« Psychologie gerade das Seelenleben selbst zum Gegenstand,
indem sie den Fragen nachgeht, wovon das seelische Erleben abhängig ist, welche Fol-
gen es hat und welche Zusammenhänge an ihm zu erfassen sind.169 Diltheys Unter-
scheidung von »Verstehen« und »Erklären«170 und Webers wissenschaftstheoretische
Überlegungen bilden dabei den heuristischen Ausgangspunkt, Husserls Phänomeno-
logie den deskriptiven Zugriff.171 In der Allgemeinen Psychopathologie reserviert Jaspers

163 Vgl. zu den verschiedenen Hinweisen v.a.: H. Stelzer: »Georg Simmel und Karl Jaspers. Gehäuse,
Form und Leben«, in: O. Immel, H. Stelzer (Hg.): Welt und Philosophie. Politik-, kultur- und sozial-
philosophische Beiträge zum Denken von Karl Jaspers, Innsbruck 2011,125-146.
164 Vgl. M. Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 91988, 203; ders.: Ge-
sammelte politische Schriften, hg. von J. Winckelmann, Tübingen 51988,332.
165 Vgl. G. Simmel: Der Konflikt der modernen Kultur, in: Georg Simmel Gesamtausgabe, Bd. 16, hg. von
G. Fitzi und O. Rammstedt, Frankfurt a.M. 1999,183; »Der Begriff und die Tragödie der Kultur«,
in: ebd., Bd. 14, hg. von R. Kramme und O. Rammstedt, Frankfurt a.M. 1996,385.
166 EV in: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, Bd. 9 (1912) 391-408; KJG1/3.
167 Vgl. K. Jaspers: »Kausale und >verständliche< Zusammenhänge«, 330-331.
168 Vgl. ders.: »Die phänomenologische Forschungsrichtung in der Psychopathologie«, 315; vgl.
hierzu auch Fußnote Nr. 1.
169 Ebd.
170 Vgl. hierzu: W. Dilthey: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie [1894], in: Gesam-
melte Schriften, Bd. V, hg. von G. Misch, Leipzig 1924,139-240,144.
171 Vgl. K. Jaspers: »Kausale und >verständliche< Zusammenhänge«, 330.
 
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