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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0056
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Einleitung des Herausgebers

LV

einen »Zaubergarten«, der einigen auch als »Irrgarten« erscheinen dürfte. Zwar ent-
halte das Buch keine wissenschaftliche Psychologie und verweigere sich deren Spra-
che. Wer aber ohne Erwartung wissenschaftlicher Erkenntnisse an das Buch heran-
trete, erhalte einen Blick in die »tiefen Gründe, aus denen Weltanschauungen
unermüdlich quellen«, der werde »in Jaspers den rechten Führer finden und stärkste
Eindrücke davontragen«.280
Erwartungsgemäß stieß Jaspers’ Buch insbesondere in neukantianischen Kreisen
auf wenig Gegenliebe. So moniert Jonas Cohn in den Kant-Studien,281 dass bei allem
Reichtum der Gestalten eine große Einengung gegenüber Hegels Phänomenologie des
Geistes auffalle, denn es fehlten alle »naiven« Weltanschauungen, alle, die im »wach-
senden Gehäuse« einfach leben.282 Zudem verzichte Jaspers darauf, die Weltanschau-
ungen »als wirkende Mächte in den Seelen derer zu verfolgen, die sie nicht original
hervorbringen«.283 Zwar sei eine Beschränkung auf die Weltanschauungen als Kräfte
und Ideen legitim, fraglich sei aber, »ob die Abgrenzung nicht trennt, was sich nur ver-
eint verstehen läßt.« Ohne den Prozess der Aufnahme und Umbildung des Überkom-
menen zu verfolgen, könne man »das Werden der Weltanschauungen nicht vollstän-
dig begreifen«.284 Auch in der starken Bezugnahme auf die Werke Nietzsches und
Kierkegaards sieht Cohn eine Einseitigkeit in dem Sinne, dass die Betrachtung vor al-
lem auf den »modernen Menschen« fokussiert sei. Das Postulat der Werturteilsfreiheit
ist für Cohn zudem nur bedingt eingelöst. Ganz deutlich strebe Jaspers einer Weltan-
schauung zu, »die in der vollen gestaltenden Lebendigkeit das Wesentliche sieht«.285
Seine Wertung des Lebens schwinge keineswegs nur gelegentlich mit, sondern be-
stimme die Gestalt seines Buches.286
Kritische Töne kamen auch aus der Psychologie und Medizin. Bei aller Anerken-
nung der psychologischen Leistungen bestand der Tenor der psychologischen Kritik
darin, im Prinzip keine Psychologie, sondern eine »Philosophie der Weltanschauun-
gen« vor sich zu haben.287 Insbesondere aus der experimentellen Psychologie kam
scharfe Kritik. So konnte Wilhelm Wirth, Mitbegründer und Herausgeber der einfluss-
reichen Zeitschrift Archiv für die gesamte Psychologie, Jaspers’ Werk kaum etwas Positi-
ves abgewinnen. Wirth sieht Jaspers in einer verhängnisvollen Traditionslinie, die, von
Wilhelm Dilthey ausgehend, die Einheitlichkeit des ganzen Gebietes des Bewusstseins

280 M. Schlick: »Jaspers, Karl, Psychologie der Weltanschauungen«, in: Die Naturwissenschaften, Nr. 39
(1922) 874.
281 J. Cohn: »Zur Psychologie der Weltanschauungen«, in: Kant-Studien, Bd. 26 (1921) 74-90.
282 Ebd., 82.
283 Ebd.
284 Ebd.
285 Ebd.
286 Ebd., 88.
287 H. Henning: »Karl Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen«, in: Zeitschrift für Psychologie und
Physiologie der Sinnesorgane, 1. Abteilung: Zeitschrift für Psychologie, Bd. 85 (1922) o.S.
 
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