Einleitung des Herausgebers
LXV
theoretischer Abzweckung, [...] sondern sie hat die eigentliche historische Erstreckung
in die Vergangenheit des >ich<«.337
Das Fehlen einer angemessenen Entfaltung der Geschichtlichkeit bildet einen we-
sentlichen Kritikpunkt Heideggers, der die pointierte Herausarbeitung des Wie des
zeitlichen Erfahrungsvollzugs als entscheidende Aufgabe hervorhebt. Vergangenheit
und Zukunft dürften nicht wie wirkende Zustände gefasst werden. Das >Historische<
sei »der als solcher gar nicht ablösbare Gehalt und das Wie der Bekümmerung des Selbst
um sich selbst«.338 Entsprechend stellt Heidegger fest: »Das Existenzphänomen er-
schließt sich [...] nur einem radikal angestrebten historischen, nicht einstellungsmä-
ßig betrachtend gerichteten und auf regional objektivierendes Ordnen es absehenden,
vielmehr wesentlich selbst bekümmerten Erfahrungsvollzugs«.339 Ist dieser Erfah-
rungsvollzug das den Sinn von Sein erschließende Moment, so kann das Leben als Voll-
zugsgeschehen nicht im Sinne einer Objekterkenntnis, sondern nur in den Struktu-
ren des Wie seines Vollzugsgeschehens beschrieben werden. Das Selbst ist dabei für
Heidegger, »was es ist, in seinen selbstweltlichen, mitweltlichen und umweltlichen
Bezügen«.340
Würden nun aber, so Heideggers Kritik an Jaspers, an sich prozessuale Zusammen-
hänge verobjektiviert, so werde »das Wesen des Lebens, seine Unruhe und Bewegung
[...] in der Verwirklichung der eigensten Qualitäten« zerstört. Aus diesem Grund fällt
Heideggers Bewertung dessen, was er den Jaspers’schen »Vorgriff« nennt, nämlich das
Leben im Ganzen als Dingobjekt aufzufassen, negativ aus. Das Leben werde unter äs-
thetischem Gesichtspunkt als etwas zu Betrachtendes aufgefasst, etwas, das im Hinse-
hen auf es gehabt wird. Das also, was nach Heidegger der »Vorgriff«, d.h. die grundle-
gende Intention eigentlich zu Gesicht bringen will, nämlich das Existenzphänomen
bzw. das Wie des menschlichen Seins, werde auf diese Weise »gerade in seinem eigens-
ten vollen Sinne nach« abgedrängt.341
Heideggers Anliegen, Jaspers’ Vorgriff »auf seine Eignung hin zu betrachten, das
Phänomen der Existenz begrifflich zu umgrenzen«, mündet denn auch folgerichtig in
eine Kritik an der für Jaspers als grundlegend angesehenen Subjekt-Objekt-Spaltung.
Das seelische Urphänomen, das Jaspers durchgehend als Spaltung charakterisiere,
habe nur Sinn, »wenn als Grundwirklichkeit das Ungespaltene angesetzt« sei.342 Zu-
dem hält Heidegger es für eine Täuschung, mit der bloßen Betrachtung ein Höchst-
maß des Nichteingreifens in die persönliche Entscheidung zu erreichen, während sich
doch gerade an dem Wie des Interpretierens alles entscheide. Das, was Heidegger als
337 Ebd.,31.
338 Ebd., 32.
339 Ebd., 33.
340 Ebd., 34.
341 Ebd., 28.
342 Ebd., 21.
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theoretischer Abzweckung, [...] sondern sie hat die eigentliche historische Erstreckung
in die Vergangenheit des >ich<«.337
Das Fehlen einer angemessenen Entfaltung der Geschichtlichkeit bildet einen we-
sentlichen Kritikpunkt Heideggers, der die pointierte Herausarbeitung des Wie des
zeitlichen Erfahrungsvollzugs als entscheidende Aufgabe hervorhebt. Vergangenheit
und Zukunft dürften nicht wie wirkende Zustände gefasst werden. Das >Historische<
sei »der als solcher gar nicht ablösbare Gehalt und das Wie der Bekümmerung des Selbst
um sich selbst«.338 Entsprechend stellt Heidegger fest: »Das Existenzphänomen er-
schließt sich [...] nur einem radikal angestrebten historischen, nicht einstellungsmä-
ßig betrachtend gerichteten und auf regional objektivierendes Ordnen es absehenden,
vielmehr wesentlich selbst bekümmerten Erfahrungsvollzugs«.339 Ist dieser Erfah-
rungsvollzug das den Sinn von Sein erschließende Moment, so kann das Leben als Voll-
zugsgeschehen nicht im Sinne einer Objekterkenntnis, sondern nur in den Struktu-
ren des Wie seines Vollzugsgeschehens beschrieben werden. Das Selbst ist dabei für
Heidegger, »was es ist, in seinen selbstweltlichen, mitweltlichen und umweltlichen
Bezügen«.340
Würden nun aber, so Heideggers Kritik an Jaspers, an sich prozessuale Zusammen-
hänge verobjektiviert, so werde »das Wesen des Lebens, seine Unruhe und Bewegung
[...] in der Verwirklichung der eigensten Qualitäten« zerstört. Aus diesem Grund fällt
Heideggers Bewertung dessen, was er den Jaspers’schen »Vorgriff« nennt, nämlich das
Leben im Ganzen als Dingobjekt aufzufassen, negativ aus. Das Leben werde unter äs-
thetischem Gesichtspunkt als etwas zu Betrachtendes aufgefasst, etwas, das im Hinse-
hen auf es gehabt wird. Das also, was nach Heidegger der »Vorgriff«, d.h. die grundle-
gende Intention eigentlich zu Gesicht bringen will, nämlich das Existenzphänomen
bzw. das Wie des menschlichen Seins, werde auf diese Weise »gerade in seinem eigens-
ten vollen Sinne nach« abgedrängt.341
Heideggers Anliegen, Jaspers’ Vorgriff »auf seine Eignung hin zu betrachten, das
Phänomen der Existenz begrifflich zu umgrenzen«, mündet denn auch folgerichtig in
eine Kritik an der für Jaspers als grundlegend angesehenen Subjekt-Objekt-Spaltung.
Das seelische Urphänomen, das Jaspers durchgehend als Spaltung charakterisiere,
habe nur Sinn, »wenn als Grundwirklichkeit das Ungespaltene angesetzt« sei.342 Zu-
dem hält Heidegger es für eine Täuschung, mit der bloßen Betrachtung ein Höchst-
maß des Nichteingreifens in die persönliche Entscheidung zu erreichen, während sich
doch gerade an dem Wie des Interpretierens alles entscheide. Das, was Heidegger als
337 Ebd.,31.
338 Ebd., 32.
339 Ebd., 33.
340 Ebd., 34.
341 Ebd., 28.
342 Ebd., 21.