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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0068
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Einleitung des Herausgebers

LXVII

einer grundlegenden Sezierung der Psychologie der Weltanschauungen347 in ihrer Akzent-
setzung Rickerts Polemik diametral entgegengesetzt ist. Mahnt Rickert dazu, auf dem
Wege einer grundsätzlichen Kritik am »Starren« und dem »System« nicht die Wissen-
schaftlichkeit preiszugeben, trägt Jaspers in Heideggers Augen dem Prozessualen des
Lebens gerade noch nicht in hinreichendem Maße Rechnung; wittert Rickert in Jas-
pers’ Ansatz einer Weltanschauungspsychologie einen substituierenden Psychologis-
mus und das Vorhaben, die akademische Philosophie anzugreifen, bejaht Heidegger
gerade den Impuls zu einem philosophischen Neubeginn mit Blick auf die von Rickert
gänzlich unbeachteten Überlegungen zur Existenz und den Grenzsituationen.
Die Feststellung, dass die Verobjektivierung an sich prozessualer Zusammenhänge
den Blick auf das Selbst verstellt, markiert dabei das hermeneutische Kernproblem, das
später Heidegger unter Betonung der »ontologischen Differenz« zwischen Sein und
Seiendem als Problem der »Seinsvergessenheit« zu seiner »existenzialen Analytik des
Daseins« brachte348 und andererseits Jaspers die Notwendigkeit vor Augen führte, ei-
nen neuen, die Grenzsituationen ins rechte Licht rückenden, hermeneutischen Zu-
gang zur Existenz zu entwickeln, der später den Titel »Existenzerhellung« tragen sollte.
20. Werkgeschichtlicher Ausblick
Wie bereits angedeutet, fand auf Jaspers’ Seite jenseits brieflicher Bekundungen zu-
nächst keine erkennbare Reaktion auf Heideggers Kritik statt. Er ignorierte dessen Vor-
schläge einer Neugliederung des Werkes349 und publizierte die zweite Auflage 1922,
ohne die »Anmerkungen« in irgendeiner Weise zu berücksichtigen - ein Vorgehen,
das er Heidegger gegenüber mit den Worten rechtfertigte: »Ich kann das Buch nicht
ändern, sondern muss ein anderes schreiben.« Welche inhaltliche Ausrichtung Jaspers

347 So äußerte Heidegger gegenüber Rickert noch im Januar 1920 die Meinung: »Dieses Buch muß
meines Erachtens, gerade weil es sehr viel bietet, von überall her gelernt hat und einem Zug der
Zeit entgegenkommt, auf das schärfste bekämpft werden« (M. Heidegger, H. Rickert: Briefe, 49).
348 Vgl. zum philosophischen Stellenwert der Heidegger'sehen Auseinandersetzung mit der Psycho-
logie der Weltanschauungen für seinen hermeneutischen Ansatz: C. Jamme: »Heideggers frühe Be-
gründung der Hermeneutik«, in: Dilthey-fahrbuch, Nr. 4 (1986/87) 72-90, bes. 75-78, 80.
349 Heidegger gibt in der Beilage zu seinen »Anmerkungen« konkrete Verbesserungsvorschläge. So
könne ihm zufolge die Einleitung ganz fehlen oder auf die Paragraphen 1 [»Was eine »Psycholo-
gie der Weltanschauungen< sei«] und 2 [»Quellen einer Weltanschauungspsychologie«] sowie
den Abschnitt S. 31-37 [»Echtheit und Unechtheit«, »Formalisierung«] beschränkt bleiben, der
»mit zum Besten des Buches« gehöre. Ferner sei es »sachgemäßer«, Kap. III [»Die Geistestypen«]
an den Anfang zu stellen und aus den »lebendigen Kräften« die Kap. I [»Die Einstellungen«]
und Kap. II [»Weltbilder«] »auch in der Darstellung entstehen zu lassen«. Noch wirkungsvoller
sei es, Kap. III so zu gestalten und zu teilen, daß es Kap. I. und II »in die Mitte nimmt und um-
schließt«.
 
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