LXVIII
Einleitung des Herausgebers
dabei vorschwebt, bleibt unklar: »Dabei bin ich, werde mir aber viel Zeit lassen, da Plan
und Anspruch recht große sind. Ob ich es überhaupt kann, ist noch fraglich«.350
Ob sich in dieser Aussage bereits eine konkrete Absichtserklärung in Richtung Exis-
tenzphilosophie andeutet, mag zweifelhaft erscheinen. Diese begann sich aber spätes-
tens mit dem Vorwort zur 1925 erschienenen dritten Auflage der Psychologie der Welt-
anschauungen abzuzeichnen.351 Darin findet sich eine Bemerkung, die nicht nur als eine
Distanznahme von seinem Buch gelesen werden kann, sondern bereits die Arbeit an
einem neuen, existenzphilosophisch akzentuierten Konzept dokumentiert: »Da ich
seit längerem methodisch beschäftigt bin, nach diesem ersten unmittelbaren Versuch
einer anschaulichen Orientierung nun den zweiten Schritt einer logisch bestimmten
Erhellung modernen Existenzbewußtseins zu wagen, erscheint ein Belassen des ju-
gendlichen Unternehmens in seiner ersten Gestalt natürlicher. Damals wurde in der
ganzen Haltung des Buches, in der Weise der Analysen ohne Wissen und Willen ein
geheimes Ideal ausgesprochen. Dies erkenne ich durchaus als mir gegenwärtig an.«352
Dies lässt den Schluss zu, dass der Weg, den Jaspers einschlug, durchaus deutlich
in die von Heidegger gewiesene Richtung führte, eine Richtung, die sich später in den
existenzphilosophischen Werken beider im Vorhaben »einer logisch bestimmten Er-
hellung modernen Existenzbewußtseins« niederschlagen sollte. Selbst wenn Jaspers
Heideggers Rezension nicht zur Gänze gelesen und durchdrungen haben mag und die
Auseinandersetzung Heideggers mit der Psychologie der Weltanschauungen mehr über
die Genese von Sein und Zeit als über Jaspers’ Werk verrät, sind die Akzentsetzungen,
die Jaspers vor dem Hintergrund seiner philosophischen Freundschaft in der Philoso-
phie vornimmt, zu augenfällig, um als rein evolutionäre Entwicklung des Denkens aus
dem Frühwerk gelesen werden zu können. Das »geheime Ideal«, von dem Jaspers 1925
spricht, korrespondiert eng, allzu eng mit Heideggers Akzentsetzung.
Worin Heideggers »Accent« lag, von dem Jaspers in dem bereits erwähnten Entwurf
zum Vorwort seiner Philosophie spricht, zeigt sich vor allem in dessen Fokussierung auf
das Existenzphänomen und der Ausarbeitung der philosophischen Rolle der Grenz-
situationen für das Selbstsein. Inwieweit Heideggers Rezension Jaspers’ Denkwegwirk-
lich nachhaltig geprägt hat, lässt sich aber nur einschätzen, wenn sich in Jaspers’ sys-
tematischem Nachfolgewerk Reaktionen auf die Heidegger’sche Kritik erkennen
lassen - Spuren, die gleichzeitig Jaspers’ Weg von der Verstehenden Psychologie zur
Existenzphilosophie markieren.
350 K. Jaspers an M. Heidegger, 2. Juli 1922, in: M. Heidegger, K. Jaspers: Briefwechsel, 31.
351 Vgl. zur Entstehung der Philosophie das »Nachwort (1955)« (K. Jaspers: Philosophie!,bes. XX-XXI;
Philosophische Autobiographie, 40-47); in der Philosophischen Autobiographie schreibt Jaspers, er
habe das Werk seit 1924 »planmäßig vorbereitet« (43).
352 Vgl. Stellenkommentar Nr. 2.
Einleitung des Herausgebers
dabei vorschwebt, bleibt unklar: »Dabei bin ich, werde mir aber viel Zeit lassen, da Plan
und Anspruch recht große sind. Ob ich es überhaupt kann, ist noch fraglich«.350
Ob sich in dieser Aussage bereits eine konkrete Absichtserklärung in Richtung Exis-
tenzphilosophie andeutet, mag zweifelhaft erscheinen. Diese begann sich aber spätes-
tens mit dem Vorwort zur 1925 erschienenen dritten Auflage der Psychologie der Welt-
anschauungen abzuzeichnen.351 Darin findet sich eine Bemerkung, die nicht nur als eine
Distanznahme von seinem Buch gelesen werden kann, sondern bereits die Arbeit an
einem neuen, existenzphilosophisch akzentuierten Konzept dokumentiert: »Da ich
seit längerem methodisch beschäftigt bin, nach diesem ersten unmittelbaren Versuch
einer anschaulichen Orientierung nun den zweiten Schritt einer logisch bestimmten
Erhellung modernen Existenzbewußtseins zu wagen, erscheint ein Belassen des ju-
gendlichen Unternehmens in seiner ersten Gestalt natürlicher. Damals wurde in der
ganzen Haltung des Buches, in der Weise der Analysen ohne Wissen und Willen ein
geheimes Ideal ausgesprochen. Dies erkenne ich durchaus als mir gegenwärtig an.«352
Dies lässt den Schluss zu, dass der Weg, den Jaspers einschlug, durchaus deutlich
in die von Heidegger gewiesene Richtung führte, eine Richtung, die sich später in den
existenzphilosophischen Werken beider im Vorhaben »einer logisch bestimmten Er-
hellung modernen Existenzbewußtseins« niederschlagen sollte. Selbst wenn Jaspers
Heideggers Rezension nicht zur Gänze gelesen und durchdrungen haben mag und die
Auseinandersetzung Heideggers mit der Psychologie der Weltanschauungen mehr über
die Genese von Sein und Zeit als über Jaspers’ Werk verrät, sind die Akzentsetzungen,
die Jaspers vor dem Hintergrund seiner philosophischen Freundschaft in der Philoso-
phie vornimmt, zu augenfällig, um als rein evolutionäre Entwicklung des Denkens aus
dem Frühwerk gelesen werden zu können. Das »geheime Ideal«, von dem Jaspers 1925
spricht, korrespondiert eng, allzu eng mit Heideggers Akzentsetzung.
Worin Heideggers »Accent« lag, von dem Jaspers in dem bereits erwähnten Entwurf
zum Vorwort seiner Philosophie spricht, zeigt sich vor allem in dessen Fokussierung auf
das Existenzphänomen und der Ausarbeitung der philosophischen Rolle der Grenz-
situationen für das Selbstsein. Inwieweit Heideggers Rezension Jaspers’ Denkwegwirk-
lich nachhaltig geprägt hat, lässt sich aber nur einschätzen, wenn sich in Jaspers’ sys-
tematischem Nachfolgewerk Reaktionen auf die Heidegger’sche Kritik erkennen
lassen - Spuren, die gleichzeitig Jaspers’ Weg von der Verstehenden Psychologie zur
Existenzphilosophie markieren.
350 K. Jaspers an M. Heidegger, 2. Juli 1922, in: M. Heidegger, K. Jaspers: Briefwechsel, 31.
351 Vgl. zur Entstehung der Philosophie das »Nachwort (1955)« (K. Jaspers: Philosophie!,bes. XX-XXI;
Philosophische Autobiographie, 40-47); in der Philosophischen Autobiographie schreibt Jaspers, er
habe das Werk seit 1924 »planmäßig vorbereitet« (43).
352 Vgl. Stellenkommentar Nr. 2.