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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0075
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LXXIV

Einleitung des Herausgebers

Die Bedeutung der Weltanschauung hingegen verblasst mit der Hinwendung zur Exis-
tenz, ohne jedoch völlig aus dem Gesichtskreis zu geraten. So schreibt Jaspers in einer
Vorlesungsnotiz aus dem Jahre 1931: »Existenzphilosophie ist der Name, den sich eine
gegenwärtig wirkliche Philosophie gibt, als eine Philosophie, die sich als Weltanschau-
ung im Leben verwirklichen und dabei die Klarheit des Seinsbewusstseins gewinnen
will«.383 Damit bekennt sich Jaspers zum Weltanschauung vermittelnden Auftrag der
Philosophie, verlegt dabei aber den Bezugspunkt der Weltanschauung vom Lebens-
prozess in die Existenz. Noch im ersten Band der Philosophie nimmt die Weltanschau-
ung einen vergleichsweise prominenten Platz ein. Sie wird dort als »Ursprung« be-
schrieben, der sich in den Weisen des philosophischen Denkens erhellt.384 In ihr liegt,
wie Jaspers schreibt, »die Weise, wie der Einzelne die Dinge abschätzt, worauf es ihm
unbedingt ankommt, was ihm eine nur relative Bedeutung hat, wie er infolgedessen
sich verhält und handelt. Weltanschauung ist das in allgemeiner Form ausgesprochene
Prinzip dieses Abschätzens, Sichverhaltens, Handelns.«385 Die äußere Betrachtung der
Weltanschauungen als plurale Typen von Wert- und Weltorientierungen weicht in der
Philosophie dem Konzept der »eigentlichen« Weltanschauung im Singular. Wie die
praktische Idee, die Jaspers in seinem Anhang in Anlehnung an Kant skizziert, lässt
sich die eigene Weltanschauung nicht erfassen, indem man sie betrachtet, sondern
indem man sie lebt. Der Mensch steht, wo er von Ernst getragen ist, in einer Weltan-
schauung als Gesamtauffassung der Welt. Sie markiert für den Existenzphilosophen
Jaspers den tieferen, dynamisch verfassten und für Transzendenz offenen Standpunkt
der Persönlichkeit, der sich aufgrund seiner Verwachsenheit mit ihr als unwissbar er-
weist und deshalb für Jaspers in seinem Kern Glaube ist. Die unter soziologischen Ge-
sichtspunkten betrachteten Weltanschauungen, wie sie in der zeitgleich entstande-
nen Geistigen Situation der Zeit im Sinne von »Ideologien zur Rechtfertigung der
besonderen Interessen in einer typischen Situation«386 beschrieben werden, markie-
ren dabei den Gegenpol zur Weltanschauung als haltgebender persönlicher Direktive
und als Horizont, aus dem heraus angesichts der Grenzsituation die existentielle Frage
der Selbstbezüglichkeit gestellt werden kann. In späteren Schriften büßt der Begriff
seine existentielle Dimension nahezu vollständig ein und firmiert vornehmlich als Ty-
pus des habitualisierten Interpretationshorizonts des Geistes.
In seiner »Philosophischen Logik«,387 dem zweiten systematischen Großprojekt von
Jaspers, wird der Fokus auf die Weltanschauungen als persönliche, lebensweltlich ge-

383 Ders.: »Sommer 1931. Vorlesung: Existenzphilosophie«, 1.
384 Ders.: PhilosophieI, 240.
385 Ebd.,241.
386 K. Jaspers: Die geistige Situation der Zeit, 151.
387 Die »Philosophische Logik« war seit den Vorlesungen Vernunft und Existenz [1935] und Existenz-
philosophie [1937, publiziert 1938] (vgl. KJG1/8) ein zentrales Thema der Jaspers’schen Philosophie.
 
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