Einleitung des Herausgebers
LXXV
speiste Deutungshorizonte gleichsam von einer aus Grunderfahrungen des Mensch-
seins geschöpften »Lehre von den Weisen des Umgreifenden« abgelöst. Gleichwohl
lassen sich bereits in der Psychologie der Weltanschauungen Denkfiguren erkennen, die
als grundlegend für Jaspers’ spätere »Periechontologie« gelten können. Hierzu gehört
neben der Subjekt-Objekt-Spaltung vor allem das Abstreifen des universalen Geltungs-
anspruchs von Weltbildern, das bereits in dem Bestreben einer wertungsfreien Be-
schreibung der weltanschaulichen Typen realisiert ist. Der deskriptive Relativismus
wird in Jaspers’ »Philosophischer Logik« in ein - dem Verallgemeinerungsanspruch
nach - relativistisches, dem existentiellen Anspruch nach aber gerade verbindliches
epistemologisches Konzept übersetzt, das die Subjekt-Objekt-Verhältnisse in ihren Le-
benssphären und Geltungsansprüchen analysiert und in einer die Vernunft als regu-
latives Prinzip einsetzenden Lehre systematisiert. Die Frage der Wahrheit erfährt keine
rational verfasste Letztbegründung. Vielmehr geht es um all das, was in der menschli-
chen Psyche Wahrheitsansprüche geltend macht, mit dem Ziel, »das umgreifendste
Wahrheitsbewußtsein hervorzutreiben«.* * * * * * * * 388 Indem Jaspers mit der »Philosophischen
Logik« dem Willen folgt, zu »ermöglichen, daß sich immer wiederherstellt, was Men-
schen zu Menschen macht und woraus für Menschen erwächst, was eigentlich wahr
ist: ihre Kommunikation,«389 gerät sie zu einer »Ethik des Denkens«,390 zum Projekt ei-
nes im Konvergieren von Vernunft und Existenz gegründeten, auf universelle Kom-
munikation hin ausgerichteten Humanismus, der nur durch die in der Psychologie der
Weltanschauungen mehr implizit als explizit geleistete Destruktion des universellen
Geltungsanspruchs philosophischer Weltanschauungen möglich wurde.
Erhalten bleibt in der »Philosophischen Logik« auch die Orientierung an Kants
Ideenbegriff. Die »Weisen des Umgreifenden« lassen sich als Beschreibungen fassen, un-
ter welchen wertenden Gesichtspunkten sich das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Leben
und Denken niederschlägt. Ideenhaft daran ist nicht nur der Aspekt des »Umgreifenden«
als Subjekt und Objekt umspannender Deutungshorizont, sondern auch dessen prakti-
sche, regulative Wirkung im Sinne einer »Erfahrungsrichtung«.
Sie sollte zu einer »philosophischen Grundoperation« als Vergegenwärtigung der Grenzen des
Denkens anregen, »Waffe im Kampf gegen Unwahrheit« sein und »ermöglichen, daß sich immer
wiederherstellt, was Menschen zu Menschen macht und woraus für Menschen erwächst, was ei-
gentlich wahr ist: ihre Kommunikation« (Von der Wahrheit, 6-7). Jaspers stellte in Von der Wahr-
heitdrei »Lehrbücher« zur Methodenlehre, Kategorienlehre und Wissenschaftslehre in Aussicht, die
jedoch nicht verwirklicht wurden. Eine Auswahl der im Nachlass aufgefundenen Manuskripte zur
»Philosophischen Logik« wurde 1991 von Hans Saner und Marc Hänggi herausgegeben (K. Jaspers:
Nachlaß zur philosophischen Logik).
388 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 4.
389 Ebd., 6-7.
390 Ebd., 8.
LXXV
speiste Deutungshorizonte gleichsam von einer aus Grunderfahrungen des Mensch-
seins geschöpften »Lehre von den Weisen des Umgreifenden« abgelöst. Gleichwohl
lassen sich bereits in der Psychologie der Weltanschauungen Denkfiguren erkennen, die
als grundlegend für Jaspers’ spätere »Periechontologie« gelten können. Hierzu gehört
neben der Subjekt-Objekt-Spaltung vor allem das Abstreifen des universalen Geltungs-
anspruchs von Weltbildern, das bereits in dem Bestreben einer wertungsfreien Be-
schreibung der weltanschaulichen Typen realisiert ist. Der deskriptive Relativismus
wird in Jaspers’ »Philosophischer Logik« in ein - dem Verallgemeinerungsanspruch
nach - relativistisches, dem existentiellen Anspruch nach aber gerade verbindliches
epistemologisches Konzept übersetzt, das die Subjekt-Objekt-Verhältnisse in ihren Le-
benssphären und Geltungsansprüchen analysiert und in einer die Vernunft als regu-
latives Prinzip einsetzenden Lehre systematisiert. Die Frage der Wahrheit erfährt keine
rational verfasste Letztbegründung. Vielmehr geht es um all das, was in der menschli-
chen Psyche Wahrheitsansprüche geltend macht, mit dem Ziel, »das umgreifendste
Wahrheitsbewußtsein hervorzutreiben«.* * * * * * * * 388 Indem Jaspers mit der »Philosophischen
Logik« dem Willen folgt, zu »ermöglichen, daß sich immer wiederherstellt, was Men-
schen zu Menschen macht und woraus für Menschen erwächst, was eigentlich wahr
ist: ihre Kommunikation,«389 gerät sie zu einer »Ethik des Denkens«,390 zum Projekt ei-
nes im Konvergieren von Vernunft und Existenz gegründeten, auf universelle Kom-
munikation hin ausgerichteten Humanismus, der nur durch die in der Psychologie der
Weltanschauungen mehr implizit als explizit geleistete Destruktion des universellen
Geltungsanspruchs philosophischer Weltanschauungen möglich wurde.
Erhalten bleibt in der »Philosophischen Logik« auch die Orientierung an Kants
Ideenbegriff. Die »Weisen des Umgreifenden« lassen sich als Beschreibungen fassen, un-
ter welchen wertenden Gesichtspunkten sich das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Leben
und Denken niederschlägt. Ideenhaft daran ist nicht nur der Aspekt des »Umgreifenden«
als Subjekt und Objekt umspannender Deutungshorizont, sondern auch dessen prakti-
sche, regulative Wirkung im Sinne einer »Erfahrungsrichtung«.
Sie sollte zu einer »philosophischen Grundoperation« als Vergegenwärtigung der Grenzen des
Denkens anregen, »Waffe im Kampf gegen Unwahrheit« sein und »ermöglichen, daß sich immer
wiederherstellt, was Menschen zu Menschen macht und woraus für Menschen erwächst, was ei-
gentlich wahr ist: ihre Kommunikation« (Von der Wahrheit, 6-7). Jaspers stellte in Von der Wahr-
heitdrei »Lehrbücher« zur Methodenlehre, Kategorienlehre und Wissenschaftslehre in Aussicht, die
jedoch nicht verwirklicht wurden. Eine Auswahl der im Nachlass aufgefundenen Manuskripte zur
»Philosophischen Logik« wurde 1991 von Hans Saner und Marc Hänggi herausgegeben (K. Jaspers:
Nachlaß zur philosophischen Logik).
388 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 4.
389 Ebd., 6-7.
390 Ebd., 8.