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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0118
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Psychologie der Weltanschauungen

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tischen Philosophie. - Die Soziologie sträubt sich dagegen, Philosophie zu sein, und
die Psychologie sträubt sich ebenfalls dagegen, Philosophie zu sein. Aber nicht weil
sie die Philosophie gering schätzen, sondern ganz einzig hoch, weil sie Verwechs-
lungen vermeiden wollen, und weil sie deutlich in ihrer Sphäre das, was sie können,
leisten, ohne Rücksicht leisten, aber nicht Größeres prätendieren wollen. Dafür sind
sie auch sonst zurückhaltend mit dem Namen eines Philosophen im eigentlichen
Sinn. Der Philosoph ist prophetischer Philosoph, an den die anderen sich halten
können, oder er ist Psychologe, Soziologe, Logiker, die bloß betrachten, bloß etwas
relativ erkennen.
Es ist heute vielfach eine Surrogatphilosophie verbreitet. Man fabriziert Metaphy-
siken, versteht sich auf metaphysische Erbauung, gründet Konventikel und Schüler-
verhältnisse, theosophische und spiritistische Genossenschaften, schließt sich bewußt
und gewaltsam bestehenden Kirchen an. Diese Weisen des Verhaltens (die später un-
ter den Gestalten nihilistischen Geistes zu beschreiben sind) sind immer wegen ihrer
Künstlichkeit, Unechtheit in großer Gefahr. Während der in einer Weltanschauung,
einer Kirche echt und fundiert lebende Mensch auf die Einstellung universaler Be-
trachtung, die ihm nichts anhaben, ihn nicht stören und gefährden kann, mit Gleich-
gültigkeit oder Mitleid blickt, auch dann, wenn sie ihn selbst trifft, haben ganz im Ge-
gensatz diese Romantiker und Nihilisten einen Haß gegen diese Betrachtung des
Nichtstellungnehmenden. Sie ziehen einen Feind vor. Diese rücksichtslose Wirklich-
keits- und Wahrheitsforschung geht gegen ihre Existenzbedingungen. Sie müssen sie
mit allen Mitteln bekämpfen, mit Lächerlichmachen, mit Insinuationen, mit allen nur
möglichen Klassifikationen der Psychologen (als »Aufklärer«, »Eklektiker« usw.), mit
Verwerfung dieser ganzen Art als des »Bösen« und »Liebelosen« u.dgl.
Der psychologischen Einstellung wirft man wohl vor, daß sie alles als nichtig, als
Täuschung betrachtet, daß sie ehrfurchtslos sei. Es | gibt eine zur Weltanschauung ver- 4
absolutierte psychologische Einstellung, die wir hier nicht etwa vertreten wollen. Es
gibt eine freche Art psychologischen Redens, in der psychologische Einstellung als Mit-
tel, sich persönlich Macht und Überlegenheitsgefühle zu verschaffen, benutzt wird.
Damit haben wir nichts gemein. Im Gegenteil, die psychologische Einstellung kann
intensiv das Fragen steigern, ob nicht etwas Wahrhaftes, Substantielles hinter Dingen
stecke, die man gemeinhin als erledigt, als albern, als beschränkt und wie sonst be-
zeichnet. Diese Frage wirft die Psychologie als solche nicht mehr auf, sie will nur das
Daseiende, Dagewesene anschaulich sehen. Aber solche Erwägungen mögen an die-
ser Stelle doch ihren Platz finden: Was alles an weltanschaulichen Einstellungen, Welt-
bildern, Strebungen, Gedanken in Menschenköpfen entstanden ist, kann nicht abso-
lut nichtig sein. Es war einmal als Kraft da, und kehrt zu allermeist auf typische Weise
einmal wieder. Man kann es nicht abtun als einen Irrgarten von Täuschungen, wenn
damit ein Nichtigkeitsurteil gefällt werden soll. Alles dies ist einmal Ausdruck und Be-
dürfnis für Menschenseelen gewesen, und statt nach der objektiven oder metaphysi-
 
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