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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0125
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Psychologie der Weltanschauungen

zelbiographie. Ausgangspunkt für unser Verstehen muß immer das Bestreben werden,
zunächst überall erst einmal das Positive zu sehen, anzuschauen und uns zu eigen zu
machen.
Die Namen von Zeitepochen, die uns zugleich Geistestypen bedeuten, sind bei-
spielsweise: Aufklärung, Humanismus, Romantik. Dabei sind ihrer Bedeutung nach
die empirischen, individuellen historischen Weltanschauungen von den generellen,
psychologischen Typen des Geistes zu unterscheiden, die beide oft mit demselben
Wort bezeichnet werden (so haben z.B. Romantik, Aufklärung, Impressionismus eine
zeitliche, historische und eine generelle, psychologische Bedeutung).
Für die Verwendung historischen Materials zu psychologischen Zwecken ist eine
Kenntnis der allgemeinen historischen Horizonte Voraussetzung. Es liegt in der Natur
der Sache, daß wir mit Beispielen, wenn sie einmal gebracht werden, in der Geschichte
hin und her springen, und das konkrete Material da nehmen, wo es uns zufällig auf-
stößt, und wo es am deutlichsten für die Zwecke psychologischer Einsicht sichtbar ist.
Für den besonderen Zweck einer Weltanschauungspsychologie wird man natürlich
die historischen Arbeiten, die sekundären Quellen, oft und dankbar benutzen. Die rie-
sige Arbeit, die hier getan ist, selbst noch einmal leisten zu wollen, wäre lächerlich und
hoffnungslos. Viel bieten z.B. für Fragen der Weltanschauungspsychologie:
i2 | Die Geschichte der Philosophie: Hegel, Erdmann, Windelband. Biographische Leistun-
gen: z.B. Dilthey, Schleiermacher, Justi, Winckelmann.33 Die Geistesgeschichte einzelner Zei-
ten: viele Aufsätze Diltheys; die Werke Burckhardts, ferner Friedländers, v. Eickens.
4. Schließlich werden wir uns umsehen, ob und wo eine systematische Psycholo-
gie der Weltanschauungen geleistet worden ist. Ich kenne nur einen großartigen Ver-
such: Hegels Phänomenologie des Geistes. Aber dieses Werk will viel mehr als eine
bloße Psychologie der Weltanschauungen. Es entwickelt die Gestalten des Geistes bis
zum absoluten Wissen, es ist selbst Ausdruck einer Weltanschauung. Im einzelnen für
unseren Zweck bloßer Betrachtung sehr ergiebig, sehr lehrreich, ist es als Ganzes uns
doch nicht Vorbild, vielmehr selbst Objekt. Wir verwenden es für einzelne Probleme
als Steinbruch, wertvolles Baumaterial zu holen. Von vornherein stellen wir aber, was
uns zu leisten möglich ist, in Kontrast zu diesem wunderbaren Werk: wir geben im gan-
zen doch mehr einen Katalog, innerhalb dessen wohl mehrfach Zusammenhänge, Zu-
sammengehörigkeit, innere Systematik besteht, ohne daß das System die Hauptsache
ist. Hegel hat einen vollendeten, einheitlichen systematischen Bau, ein geschlosse-
nes System, aufgeführt. Wir bringen es nur zu vielen sich kreuzenden Schematen.
Hegel objektiviert, er will das Ganze erkennen, wir subjektivieren, wollen nur Menschen
und im Menschen Mögliches sehen und begreifen. Hegel endigt mit dem absoluten
Wissen, wir in dieser Sphäre beginnen und bleiben beim absoluten Nichtwissen des
Wesentlichen. Hegel hat eine Methode, wir keine beherrschende, sondern bald diese,
bald jene.
 
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