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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0128
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Psychologie der Weltanschauungen

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der Richtigkeit wird - im Sinne des Beweisens und Widerlegens, der Instanzen für und
wider - erst aktuell, wenn solche weltanschaulichen Typen im konkreten Einzelfall
empirisch untersucht werden. Dem Einzelfall gegenüber ist jeder | Typus falsch, er ist 15
nur Maßstab, der teilweise, unter Einschränkungen paßt. - Auch die gelegentlich ge-
nannten historischen Persönlichkeiten sollen nur Beispiele für Veranschaulichungen,
nicht Beweis sein, sie sind ganz einseitig nur unter dem jeweilig gegebenen Gesichts-
punkt, nicht ihrer selbst wegen, sondern nur als Casus aufgefaßt. Wenn sie selbst em-
pirisch geradezu unrichtig aufgefaßt wären, so wäre das unerfreulich, für den hier ge-
meinten Zusammenhang aber unerheblich. Daß sie nur für den einen Zweck
charakterisiert werden, hat in jedem Falle eine karikierende, übertreibende Wirkung,
die in diesem Falle absichtlich nicht vermieden wurde. Es kommt in diesem Buche auf
den Einzelfall als solchen nicht an.
Ein solcher Versuch ist ein Wagnis. Man wird einwenden, daß bei solchem Riesen-
material nur Chaos und Apercus entstehen können; daß in der Anwendung auf kon-
krete Fälle alle Typen viel zu grob sein werden, oder umgekehrt, daß die Unterschei-
dungen tiftelig sind, und daß das konkrete Individuum nach ihnen gar nicht erfaßt
werden kann. Man wird zweifelnd meinen, daß überhaupt für eine systematische Be-
trachtung zu wenig Grundlagen da sind, daß sie notwendig vergewaltigend, daß sie
oberflächlich ausfallen muß. Man wird bezweifeln, ob ein einzelner sich dafür auch
nur annähernd ausreichende Erfahrungen und Kenntnisse erwerben kann. Solche und
weitere Einwände sind nicht zu entkräften. Zur Rechtfertigung kann ich nur sagen:
1. Es ist im einzelnen soviel von der Psychologie der Weltanschauungen erkannt
worden, daß die Mitteilung von diesem in geordneter Form allein immer etwas bieten
muß.
2. Es ist für jede Zeit ein Bedürfnis und ein Recht, für sich lebendig, neu zu leisten,
was an sich die Vergangenheit auf andere Weise besessen hat; noch einmal zu leisten,
was längst geleistet ist. Es wäre lächerlich, der HEGELschen Phänomenologie etwas
auch nur Vergleichbares an die Seite stellen zu wollen. Aber diese Phänomenologie, so
wie sie ist, leistet unserem Bedürfnis, über Weltanschauungen uns theoretisch zu ori-
entieren, nicht genüge.

§ 3. Systematische Grundgedanken.
Dem Unübersehbaren gegenüber bedarf es systematischer Gedanken; wir wollen ja in
gewissem Sinne von allem und jedem reden, da wir von allem die Grenze suchen.
Das äußere Verfahren, wenn man zu einer Psychologie der Weltanschauungen
kommen will, ist, wie bei anderen Gebieten der verstehenden Psychologie, etwa fol-
gendes: Man sammelt Stoff: Beobachtungen, Reminiszenzen, Anschauungen, Berner- 16
kungen, alles, was uns aus den Quellen der Weltanschauungspsychologie zuströmt,
die früher charakterisiert wurden. Das führt ins Endlose. Nach einiger Zeit sucht man
 
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