Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0134
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Psychologie der Weltanschauungen

41

uns selbst wegspringen, gleichsam einen archimedischen Punkt außerhalb aller Subjekt-Objekt-
Verhältnisse finden, diese in ihrer Totalität zum Gegenstand gewinnen. Es ist klar, daß das in
Absolutheit nicht möglich, damit also überhaupt nicht möglich ist, aber wir haben einen Er-
satz dafür in der möglichst großen Beweglichkeit, die wir unserem Subjektsstandpunkt geben.
Die Gesamtheit dieser sich immer gegenseitig korrigierenden, einschränkenden, relativieren-
den Subjektsstandpunkte, auf deren keinem wir stehen, muß uns den archimedischen Punkt
ersetzen, den wir, selbst immer im Subjekt-Objekt-Verhältnis bestimmter Art eingeschlossen,
aus diesem unserem Gefängnis nicht erreichen können. Unvermeidlich ist aber der Rahmen je-
des intellektuellen Werkes eine Reihe ungeprüfter und von den gewonnenen Standpunkten aus
unprüfbarer Begriffe, an denen die eigentlich philosophische Arbeit einsetzt, welche in diesem
Sinne in vorliegendem Buche nicht geleistet ist.
So sehr wir in der Erfahrung der Weltanschauungsmöglichkeiten den Standpunkt wechseln,
so bestimmt nehmen wir einen relativ festen Ort ein, wenn wir betrachtend unsere Erfahrungen
und Anschaulichkeiten formulieren. Es liegt immer sehr nahe, den Gegenstand unserer Betrach-
tung mit uns selbst als den Betrachtenden, unsere Selbsterfahrung mit unserem bloßen Zuschauen
zu verwechseln. Wenn wir z.B. vom Mystischen sprechen, so ist uns dieses Gegenstand als Rea-
lität, wie es erlebt wird; dieses Erlebnis wird charakterisiert unter anderem als Mangel der Sub-
jekt-Objekt-Spaltung. Während aber der mystisch Erlebende selbst vielleicht eine metaphysi-
sche Formel gewinnt und eine übersinnliche Realität behauptet, in der er, aus sich heraustretend,
existiert hat, betrachten wir nur die Realität, daß er so erlebte; d.h. für uns ist das Mystische als
Erlebnis ohne Subjekt-Objekt-Spaltung doch Erlebnis eines Subjektes. Mit dieser Anerkennung
der Realität des Erlebens fällen wir keinerlei Urteil über eine metaphysische Realität. Denn wir
wären ja, eingeschlossen in die Subjekt-Objekt-Spaltung unserer Betrachtung, gar nicht im-
stande, das Metaphysische als ein Absolutes zugleich als ein Gegenüber zu sehen. Wir verdür-
ben die Psychologie, die nur wissen will, was erlebt wird und was überhaupt Objekt sein kann;
und wir verdürben die Echtheit unseres eigenen Lebens, in dem das Metaphysische nicht auf
Grund solcher psychologischer Betrachtung, solcher Beschäftigung mit anderen Menschen exi-
stieren kann; sondern nur sofern wir selbst leben, selbst Mystiker sind, selbst ganz außerhalb al-
ler Betrachtung stehen. Machen wir also das Mystische zum Gegenstand, wie es eben als »Ge-
genstand« allein existiert, so vermögen wir es nur als eine subjektive Realität zu sehen, als ein
Erleben, das wir psychologisch als Erleben eines Subjekts sehen, das Subjekt allerdings nur für
uns, nicht für sich selbst in seinem Erlebnis ist. Oder wir können zum Gegenstand machen, wie
ein Subjekt, der Metaphysiker, sich anläßlich mystischer Erlebnisse anderer metaphysische Ge-
danken macht und »Erlebnisse« züchtet; und hier kann man eine Gestalt beschreiben, die wir
unecht nennen. In keinem Falle sind wir das, was wir betrachten. Das ist zwar sehr selbstver-
ständlich, wird aber in Betrachtungen dieser Art allzuleicht vergessen.
| Ein anderes Mißverständnis der Formel, daß unser Gegenstand die Mannigfaltigkeit der Sub-
jekt-Objekt-Beziehungen ist, wäre, daß wir uns hier für die Objekte als solche interessierten.
Zwar wird von außerordentlich vielen Objekten andeutend gesprochen, aber alle interessieren
uns hier nur in Beziehung auf Subjekte. Wir sehen an den Objekten die Eigenschaft, Objekte
für Subjekte zu sein, während alle anderen Betrachtungen sich rein dem Objekt zu bewegen.
Dadurch wird für die psychologische Betrachtung ein eigenes Objekt gewonnen, das selbst
schließlich wieder in der Beziehung auf das Subjekt in einer Psychologie der Psychologen erfaßt
werden könnte. Wir fragen, wenn wir die Objekte in Beziehung auf das Subjekt betrachten, nicht

23
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften