Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0138
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Psychologie der Weltanschauungen

45

müßte. Es hat etwas Starres. Die Bewegung kommt herein, wenn wir z.B. die Frage stel-
len: Warum gibt es in diesem bestimmten Falle gerade diese und nicht andere (z.B. äs-
thetische) Subjekt-Objekt-Beziehungen, warum | gehören diese und jene zu einer 27
Gruppe zusammen (z.B. ästhetisch-artistische und intellektuell-formale) und stoßen
eine andere Gruppe von sich ab (etwa die enthusiastische)? Mit einer Antwort treten
wir der Tendenz nach hinter alle Subjekt-Objekt-Verhältnisse und richten unseren
Blick auf das, was man die Kräfte, die Prinzipien, die Ideen, den Geist nennt. Diese als
solche sind unerkennbar, weil unendlich und nicht erschöpfend in Begriffen fixier-
bar, aber die Zusammengehörigkeit der objektiven Gebilde in der Subjekt-Objekt-Spal-
tung ist soweit zu erfassen und typisierend zu beschreiben, als sie Ausdruck und Er-
scheinung jener Kräfte ist.
Bei allem, was wir Kraft, Prinzip, Idee, Geist nennen, können wir nicht sagen, daß
diese nur im Subjekt oder nur im Objekt liegen. Die Idee im KANTschen Sinne ist »Idee
im Keim« als psychologische Kraft, und sie ist das in der Unendlichkeit liegende Ziel,
das durch das Schema der Aufgaben erstrebt wird. Vom Geist eines subjektiven Typus
reden wir nicht weniger als vom Geist objektiver Gebilde, Einrichtungen, Werke, Ge-
genstände überhaupt. Wir gebrauchen in diesem Buch die Worte: Idee, Geist, Kraft,
Prinzip in subjektivierendem Sinne.
In psychologischer Betrachtung sehen wir diese Kräfte in den Subjekten verankert.
Wir sehen sie in die Erscheinung treten in den Bewegungen innerhalb der Subjekt-Ob-
jekt-Spaltung und in dem diese Spaltung umfassenden Erlebnisstrom, und in mysti-
schen Erlebnissen, d.h. Erlebnissen ohne Subjekt-Objekt-Spaltung. Wir sehen, wie im
Bewußtseinsstrom nach dem Ausdruck in der Mannigfaltigkeit der Subjekt-Objekt-
Spaltung neue mystische Erlebnisse entspringen, und wie aus der Spaltung, auf deren
Grundlage, neue, vertiefende Kräfte entstehen. So gibt es schematisch gleichsam eine
Kreisbewegung. Aus den Kräften entspringen spezifische Subjekt-Objekt-Spaltungen
und diese wecken ihrerseits neue Kräfte. Dazwischen tritt als Bewußtseinsphänomen
oft ein mystisches Erleben, das nicht immer, aber häufig seinerseits zu Subjekt-Objekt-
Spaltungen führt.43 Verallgemeinert man diesen psychologischen Prozeß zum meta-
physischen Weltprozeß, so hat man das HEGELsche Schema: Die Beziehung des Sub-
jekts überhaupt und der Welt der Gegenstände ist der Geist, der wird, der 1. an sich ist,
dann 2. anders wird und für sich ist (Subjekt-Objekt-Spaltung), dann 3. in sich zurück-
kehrt. Am Anfang steht die ungespaltene Unmittelbarkeit, dann folgt die Vermittlung
durch die Spaltung, zuletzt die vermittelte Unmittelbarkeit.
Das »Richtige«, absolut Geltende der transzendentalen Formen ist zugleich das Zeit-
lose. Es ist relativ gleichgültig für die Existenz wie die mathematische Erkenntnis. Alle
Existenz ist inhaltlich, | konkret, und alle Weltanschauung, die ihr angemessen ist, 28
ebenfalls. Diese kann darum nie »richtig« und »absolut« sein wie zeitlose Formen, son-
dern in jeder Gestalt der Existenz der hier »richtige« Ausdruck des substantiellen Le-
bens, der immer wieder überwindbar ist und in der Einstellung auf die Grenzen jeder-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften