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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0152
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Psychologie der Weltanschauungen

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tiv fragen: Wie hängt denn das alles zusammen? In welchen Beziehungen kann es ste-
hen? Wovon hängt das ab? Die eigentliche Antwort können nur kasuistische, biogra-
phische und historische Untersuchungen geben. Diese Anschaulichkeit in relativ
allgemeiner Form würden charakterologische und soziologische Betrachtungen über
die Zusammenhänge liefern. Andererseits würde die Fülle der Anschaulichkeit und die
Bewährung jener allgemeinen psychologischen Denkformen erst in der weltanschau-
lichen Analyse | der konkreten Einzelsphären des Geistes: der Werksphäre, wie Wissen- 44
schäft, Kunst, Religion, der Persönlichkeitssphäre, der Sozialsphäre, erreicht werden.
Eine vollständige Psychologie der Weltanschauungen ließe sich so in drei Teilen
denken:
I. Der erste Teil würde die allgemeinen Grundlagen, die Stellungen und Kräfte, die
Grenzen überhaupt behandeln. Es wäre eine allgemeine Psychologie der Weltanschau-
ungen, deren Durchführung in konkreteren Erscheinungen zwei weiteren Teilen an-
gehören würde.
II. Der zweite Teil würde die allgemeinen, weltanschaulichen Gestalten verfolgen,
wie sie sich in den einzelnen Sphären der Persönlichkeit, der Werke, der Gesellschaft
manifestieren. Die Werksphären (z.B. Wissenschaft, Metaphysik, Kunst, Religion
usw.), die Persönlichkeitssphäre (z.B. das Ethische, der Lebensstil, die Geschlechtsliebe
usw.), die Sozialsphäre (z.B. das Politische) lassen jede für sich die letzten Möglichkei-
ten der weltanschaulichen Kräfte wieder sichtbar werden. In jeder Sphäre würden die
Kategorien des allgemeinen Teils mehr oder weniger ihre Anwendung finden. Man
würde z.B. verfolgen, welche möglichen Weltanschauungen sich im Politischen (im
politischen Handeln und Urteilen) zeigen, aus was für weltanschaulichen Kräften Wis-
senschaft betrieben wird und wie diese sich durch Weltanschauungen charakteristisch
verschieden zeigt.
III. Am konkretesten, der Wirklichkeit am nächsten, aber auch am endlosesten in
die Mannigfaltigkeit der empirischen Welt sich ausbreitend, wird die Darstellung, wenn
sie die Weltanschauungen unter Benutzung der beiden früheren, im Verhältnis hierzu
allgemeinen Teile, in ihren charakterologischen und soziologischen Gestalten verfolgt
in dem Material der einzelnen Persönlichkeit, der Völker, Zeitalter und Zustände. Hier
hätte eine systematische Ausführung keinen Sinn und wäre unmöglich wegen der Fülle.
Hier werden nur monographische Untersuchungen der Soziologie und Charakterolo-
gie entstehen. Man könnte etwa die weltanschaulichen Stellungen Strindbergs49 oder
Nietzsches verfolgen; oder man analysiert die Weltanschauungen von Ständen und
Klassen, von Berufen und schließlich von individuellen historischen Gruppen.
Der Gegenstand unserer gegenwärtigen Darstellung wird nur der erste Teil sein, der
das Prinzipielle sucht. Hier wird jenes eine Schema der Einstellungen, Weltbilder und
Geistestypen den Rahmen bilden. Das Ganze bleibt im Vergleich zu dem möglichen
zweiten und dritten Teil relativ wirklichkeitsfern. Es ist konstruierend und typisierend.
Es will aber gerade als Ganzes genommen | werden. Es ist ein Ordnungsversuch, nicht 45
 
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