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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0173
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8o

Psychologie der Weltanschauungen

der Gattungsbegriffe oder Allgemeinbegriffe noch identifizierte (weil er das logische
Denken in seinem formalen Charakter als bloßes Werkzeug für die Behandlung eines
sonsther zu gebenden Stoffes noch nicht abgegrenzt hatte). Jedoch ist auf das klarste
zu trennen der Allgemeinbegriff von der anschaulichen Ganzheit. Das Einzelne ver-
hält sich zum Allgemeinbegriff, wie der Fall zur Gattung, zur anschaulichen Ganzheit
wie der Teil zum Ganzen. Darum sind Allgemeinbegriffe durch Aufzählung der Merk-
male (begrenzter Anzahl) scharf bestimmte, aber ihrem Wesen nach nicht notwendig
anschauliche Gattungen. Ganzheiten (Ideen) sind aber unendlich an Einzelheiten, ih-
rem Wesen nach anschaulich, logisch nicht fest bestimmbar und begrenzbar. Sie sind
nur durch Aufzählung einer Reihe von Stützen und durch Hinleitung der Anschauung
ergreifbar; sie werden nicht definiert, sondern gezeigt und intendiert.
Gegenüber dem Geschauten, auf der Grundlage der schauenden Einstellung, bauen
sich Einstellungen auf, die das Geschaute, sofern es Material ist, formen, und sich vom
Geschauten, sofern es die Kraft einer Idee ist, bewegen lassen. Diese sind entweder die
aktiven Einstellungen des ersten Kapitels, oder es sind rein kontemplative Einstellun-
gen, welche Schauen und Formung nicht zu einem fremden Zweck sondern als Selbst-
zweck betreiben.
Diese Formung ist entweder eine isolierende, eine Anschauung aus allen Zusam-
menhängen lösende, verselbständigende: die ästhetische Einstellung (die von dem Be-
griff der Kunst zunächst getrennt zu halten ist). Oder die Formung ist eine nach Tren-
69 nung und Fixierung | vor allem beziehende, verbindende, vergleichende: die rationale
Einstellung (die zunächst vom Begriff der Wissenschaft getrennt zu halten ist).
b) Die ästhetische Einstellung.
Das Wesen der ästhetischen Einstellung ist vielleicht am deutlichsten an dem plötzli-
chen Umschlag zu veranschaulichen, der in dem Augenblick eintritt, wenn wir aus an-
deren Einstellungen in die ästhetische treten: Stellen wir uns den Arzt am Krankenbette
eines Sterbenden vor; er ist anschauend und denkend eingestellt, aber nur so weit als
diese Einstellungen ihm Mittel für seine Aktivität, das Heilenwollen, an die Hand geben.
Ein Sprung tritt ein, wenn sich die rationale Einstellung verselbständigt: Er sieht und
sucht jetzt alles, was ihn über diesen Fall belehren kann, auch ohne Heilungsmöglich-
keiten zu geben, er bedenkt nach allen Seiten die kausalen Beziehungen und fixiert und
ordnet die Symptomatologie. Er subsumiert unter bekannte Typen und holt das Unbe-
kannte, ihm Neue, deutlich heraus usw. Und wieder ein Sprung entsteht, wenn er nun
plötzlich - nachdem er gehandelt hat - auch diese rationale Einstellung verliert, sich der
Totalität dieses Erlebnisses hingibt, sich einfach in die Anschauung versenkt, indem er
alle Beziehungen, alle Zusammenhänge - sei es in der Realität des Handelns oder im Rei-
che wissenschaftlich-rationaler Analyse - abbricht, das Bild isoliert, von der eigenen,
wie jeder realen Lebenssphäre ablöst. Interesselos (d.h. ohne Beteiligung irgendwelcher
 
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