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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0180
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Psychologie der Weltanschauungen

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in psychologischer Hinsicht zu Beobachtungen an uns und anderen verwenden.88 Ein-
zelne in die Augen fallende Denktechniken seien aufgezählt:
I. Die scholastische Denktechnik:
1. Das Denken nach dem Satz des Widerspruchs hat zum beherrschenden Gesichtspunkt
die »Richtigkeit« in dem Sinne, daß richtig ist, was sich nicht widerspricht; und daß,
was sich widerspricht, unrichtig ist und damit nichtig. Begriffe, die sich wider | sprechen, 77
sind undenkbar, eine ihnen entsprechende Realität unmöglich. Es ist das Denkverfah-
ren, das durch die Eleaten89 in die Welt gekommen ist. Da der Widerspruch unmög-
lich ist, muß von einem Gegensatzpaare entweder das eine oder das andere richtig sein.
Läßt sich von einem Gegensätze das eine als unmöglich beweisen, so ist damit das Ge-
genteil als richtig erwiesen (indirekter Beweis). Will man einen Begriff als einen unbe-
rechtigten widerlegen, so braucht man nur zu beweisen, daß er von einem Gegensatz-
paar beide Gegensätze in sich schließt oder keinen von beiden. Etwas hat von zwei
Gegensätzen sowohl den einen als den anderen an sich: also ist es unmöglich (Anti-
nomie). Es hat von zwei Gegensätzen weder den einen noch den anderen an sich, also
ist es nichtig (Dilemma)').90 Der Nachweis von Antinomie und Dilemma gilt als ent-
scheidend. Dieses Denkverfahren wird am deutlichsten, wenn die mathematische
Technik von Axiomen, Grundsätzen, Folgerungen, Schlüssen, Beweisen in dem phi-
losophischen Denken angewandt wird. Im äußersten Gegensatz dazu steht die dialek-
tische Methode Hegels. Hegel erklärt, »daß die Manier, einen Satz aufzustellen,
Gründe für ihn anzuführen und den entgegengesetzten durch Gründe ebenso zu wi-
derlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann«.91
2. Die Beziehungen der Begriffe zueinander werden in der Form einer Pyramide ge-
dacht. Die Begriffe stehen als kontinuierliche Reihen von Gattungen und Arten im
Verhältnis der Subordination. Man unterscheidet, man teilt ein, indem man unter Vor-
aussetzung eines solchen Stufenreichs überall das genus proximum und die differen-
tia specifica92 sucht. Alles bekommt seinen Ort, seine Schachtel, alles wird auf diese
Weise »definiert«. Um einen Begriff vollständig zu bestimmen, bedarf es letzthin der
ganzen Begriffspyramide, in der er seinen Ort hat. Die logische Einteilung ist die
Hauptsache. »Diese Einteilung muß vollständig sein; sie darf also keine Art übersprin-
gen, weder eine Nebenart, noch eine Zwischenart. Die vollständige Einteilung in Rück-
sicht der Nebenarten ist dichotomisch, in Rücksicht der Zwischenarten kontinuier-
lich. Die kontinuierliche Einteilung ist eine mit jedem Einteilungsgliede allmählich
zunehmende Spezifikation des Gattungsbegriffs, eine lebendige Gliederung und Ge-
staltung der logischen Materie, ein gleichsam plastisches Denken ... So bildet Plato
den Begriff des Sophisten, des Staatsmanns durch eine fortschreitende dichotomische
und kontinuierliche Einteilung, er meißelt gleichsam aus dem allgemeinen Begriff des

Vgl. Kuno Fischer, Logik § 14.
 
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