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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0183
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Psychologie der Weltanschauungen

Das Dialektische gibt dem Denken vor allem die »Bildung«, die beiden anderen
Wege die »Erkenntnisse«.
Die Art, wie in der Form des Dreitakts die Einheit erzeugt wird, ist so verschieden,
wie die Arten der Begriffe und Gegenstände verschieden sind. Man kann das Dritte als
die Einheit, die konkreten Synthesen, die Verbindung bezeichnen, dagegen aber miß-
verständlich als Summe, als das Mittlere, als Vermischung. Die Redeweise, alle Dinge
hätten zwei Seiten, trifft in trivialer Verflachung die Sache: Nicht alle Dinge haben
zwei Seiten, sondern nur die konkreten Ganzheiten, die jeweils an dritter Stelle stehen;
und diese haben nicht zwei Seiten, sondern viele Gegensatzpaare; sie haben nicht zwei
Seiten, sondern die unendliche Synthese eines Gegensatzes an sich. Die Ausdrucks-
weise der zwei Seiten nimmt den Charakter des Unendlichen fort und fixiert das, was
gerade Bewegung und Leben ist, in die Abstraktion zweier entgegengesetzter, aber ver-
meintlich vollständiger Endlichkeiten.
Das echte dialektische Denken kreist jedesmal um eine spezifische Anschaulich-
keit. In entleerter Formalisierung kann sie als gleichgültiger Dreitakt auftreten, der
überall entweder bloße Aufzählungen, oder abstrakte Mittlere, oder bloße Summie-
rung gibt. Die dialektische Methode ist darum so mannigfaltig als die Inhalte mannig-
faltig sind. Rosenkranz sagt treffend: »In welchen partikulären logischen Kategorien
der dialektische Prozeß sich darstellt, hängt von der jedesmaligen Beschaffenheit des
Inhalts ab ... Man kann sicher sein, daß die meisten Fehler in der Methode dadurch ge-
macht werden, daß der Spekulierende sich nicht genug in die Eigentümlichkeit des
Gegenstandes eingelassen hat.«97 Er unterscheidet »wahre Triaden« und »unschuldige
81 Triaden«.98 - Eine logische Unter|suchung des Dialektischen hätte gerade die einzel-
nen spezifischen Anschaulichkeiten zu betrachten, die allgemeine Form sagt nur we-
nig. Sie ist das hier im Gröbsten Dargelegte. Identisch ist eben nur die Form des Tria-
dischen und der synthetische, auf Anschauung beruhende Charakter; im übrigen sind
die dialektischen Zusammenhänge überall verschieden. -
Alle Denktechniken, wie sie zu schildern sind, sind nur ein Formales, das Nachahm-
bare, Reproduzierbare. Was im einzelnen Fall der Inhalt, der neue Inhalt wird, was über-
all das Schöpferische ist, das kommt nie durch die Technik als solche, sondern in allen
Fällen durch Intuition. Die Technik ist das Medium, die Erfindung hat andere Quellen.
Jeder Mensch bewegt sich in unseren Tagen wohl unwillkürlich in allen drei Sphä-
ren der Denktechniken, aber man bemerkt oft ein Vorwiegen der einzelnen Sphären.
Aber auch im einzelnen Menschen kann dies Vorwiegen sich verteilen, so daß derselbe
Mensch etwa in seinem wissenschaftlichen Fach experimentierend denkt, überall
sonst im Leben scholastisch. -
Im Anschluß an die echten und vollständigen Gestalten rationaler Einstellung sind
nun weiter die durch die vier Prozesse entstehenden Ableitungen kurz zu bezeichnen:
i. Die undifferenzierten Gestalten: Solange der Mensch seine Denkweisen nicht selbst
zum Gegenstand macht, nicht außer über die Sachen über die Art, wie er die Sachen
 
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