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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0184
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Psychologie der Weltanschauungen

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denkt, reflektiert, ist seine Denkweise unzuverlässig, wenn sie auch noch so einge-
schult ist. Es gibt das naive, zufällige, über sein Wesen unklare Denken. Hier wird man
nachweisen können, wie der Mensch überall scholastisch und experimentell und dia-
lektisch denkt, aber sich überall und immer wieder selbst stört, nicht klar und konse-
quent wird. Wir sind alle mehr oder weniger in dieser Lage.
2. Die Verabsolutierung der rationalen Einstellung erhebt die Begreifbarkeit in der
Subjekt-Objektspaltung zum Absoluten. Das Vertrauen in den Verstand, das Pochen
auf ihn kennt keine Grenzen. Der Mensch wird absolut amystisch.
3. Die Formalisierung: Die Arten von Denktechniken, wie wir sie skizziert haben,
diese Denkmaschinen, sind in objektiven, formalen Eigenschaften des Gedachten be-
gründet; es ist zweckmäßig, diese Techniken zu lernen, wie man das Rechnen lernt;
man beherrscht sie keineswegs ohne weiteres, vielmehr bedarf es der Übung und Bil-
dung, sie benutzen zu können. Dann weiß man ihr Wesen, kann sie anwenden und
läßt sich bei Anwendung von anderer Seite nicht mehr düpieren. Aber gerade wenn
man die Dinge so an|sieht, bemerkt man, wie sich diese Formen verselbständigen, sich 82
von Sache und Anschauung loslösen können. So werden sie für die Erkenntnis nich-
tig, sie leisten für das Erkennen nur etwas, wenn sie um die Sachen selbst kreisen. In
der Geschichte ist jede dieser Denktechniken einmal mit der Sache selbst, mit dem In-
halt verwechselt und identifiziert worden.
Mehrere Schattierungen in der Charakteristik dieser Formalisierung seien neben-
einandergestellt:
a) Das abstrakte Denken. Alles Denken abstrahiert, jedoch wird in der vollständigen
rationalen Einstellung immer die Beziehung der Abstraktion auf das, wovon abstra-
hiert wurde, festgehalten. Die Abstraktionen können aber fixiert in unserem Kopfe
fortbestehen und zur Verfügung bleiben und uns beherrschen ohne das Korrelat der
Anschauungen. Dann verdrängen die Abstraktionen die Anschauung. Aus aller An-
schauung lassen sich die logischen Kategorien herausholen, und statt mit Anschau-
ungen und von Anschauungen denken wir bloß in diesen Kategorien in dem Bewußt-
sein, damit das Wesentliche zu haben. In der Sprache überwiegen dann auch die
Abstrakta, und man spricht von Ding, Grund, Zweck usw., wo man Konkretes meinen
und sprachlich treffen müßte. Die Nachfolger aller großen Denker sind diesem Forma-
lismus der Abstraktionen anheimgefallen. Im täglichen Leben können wir gerade das
Haften an solchen Abstraktionen, das Blindwerden bei Menschen beobachten, die auf
das abstrakte Denken schelten, die wenig denken, aber immerfort ihre gewohnten Ab-
straktionen für die Wirklichkeit halten').99
War hier in der Formalisierung die Abstraktion zum zerstörenden Stellvertreter der
Anschauung bezüglich der Elemente des gegenständlichen Bewußtseins geworden, so

Hegel hat in seiner Plauderei »Wer denkt abstrakt?« eine anschauliche Charakteristik dieses Ty-
pus gegeben. Werke 17, 4ooff.
 
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