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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0221
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128

Psychologie der Weltanschauungen

und ist doch bei allem immerfort vom vollkommenen Vertrauen der Liebe getragen,
von diesem Vertrauen, das allein jene Gefahren möglich macht, ohne liebelos zu sein.
Es sind in diesem liebenden Kämpfen keine Motive der Machtinstinkte (diese sind eine
Gefahr, die augenblicklich die Liebe tötet), so sehr auch alle Kräfte entfaltet und eben
gekämpft wird. Das Ziel dieses Kämpfens, das der Prozeß des Sichverstehens ist, bleibt
immer dunkel. Es ist das Vertrauen zum Geiste, das Vertrauen, in dieser fortwähren-
den Beziehung zueinander in Hinblick auf Absolutes, das doch nie besessen wird, sich
in dem Element des Wesentlichen, des Eigentlichen zu befinden. Diese Liebe im Ver-
stehen macht das Leben nicht leicht, sondern schwer, aber damit gewichtig. Sie wirkt
gestaltend und disziplinierend auf die Gesamtpersönlichkeit. Alles Einzelne dieses lie-
benden Verstehens ist nicht spezifisch, aber spezifisch ist die liebende Grundeinstel-
lung, die die Abirrung in die Interessen der isolierten empirischen Individualität, der
Machtinstinkte, der bloßen Gutmütigkeit usw. verhindert.
12 6 | Der Kampf ist eine Grundsituation des Lebens. In der Welt als einer endlichen muß
der Mensch als endliches Wesen kämpfen. Der Kampf ist erstens unbemerkt, als bloße
Auslese, als Gewinnung von Vorteilen aus dem Verhalten, das sich direkt gegen nieman-
den richtet. Es ist zweitens Kampf ums Dasein (Erhaltung unter Begrenzung anderer) und
Kampf um Macht (Ausbreitung des eigenen Daseins); dieser Kampf ist zerstörend oder as-
similierend. Drittens ist der Kampf ein Mittel der Liebe: Man kämpft nicht um Macht,
sondern um sich selbst und den andern innerlich zu wagen, daß wir durchsichtig, und
daß wir zum Selbst werden. Dieser Kampf der Liebe weicht Krisen nicht aus. Ihm droht
die Gefahr, daß der Mensch »aus Liebe« falsch hilft, erleichtert, herumhilft, wo nur ein
rücksichtsloses Erfahren und Klären den Prozeß fördert. Hier wird in falscher Hilfe aus
der Liebe bloße Fürsorge und Ritterlichkeit, die eine Überlegenheit der einen Seite be-
deuten. Alle Liebe ist aber, wie sie im Kampf ohne Machtwillen ist, auch im Helfen ohne
jene Form der Machtinstinkte, die als die Ritterlichkeit des Überlegenen für beide Teile
so verführerisch zu sein pflegen. Der Kampf in der Liebe findet immer auf gleichem Ni-
veau statt. Wo die Niveaugleichheit aufhört, findet irgendeine Form der Macht ihren
Platz, hat der Liebe Kampf zugunsten eines Machtverhaltens ein Ende.
Zu sehen, daß Leben ein Kämpfen ist, ist für die Einsicht in unser Wesen wichtig,
aber ebenso wichtig ist es, zu sehen, daß Kämpfen nicht immer Kampf um Macht, son-
dern auch in der Liebe wirksam und hier Kampf um Substanz ist, daß Kampf Ausdruck
eines Prozesses der Intensivierung des Verstehens in der Liebe sein kann. Jesus soll ge-
sagt haben, er sei nicht gekommen, Friede zu bringen, sondern das Schwert;148 Epikur
dagegen soll gelehrt haben: nil beatum nisi quietum.149 Der Lehrer der Liebe lehrt den
Kampf, der Lehrer der lieblosen Isolierung von aller Welt aber die Ruhe. Wer in gleich-
gültiger Lieblosigkeit existiert, ist für Toleranz allen Lebensstellungen gegenüber, wenn
sie ihn selbst nur in Ruhe lassen. Wer liebt, kämpft in Verstehen unter Distanzlosig-
keit, Aufdringlichkeit; aber wenn er auch intolerant ist, ist er es ohne Gewalt, ohne
Machtwillen, denn nur im gegenseitigen Infragestellen bei Erhaltung eines gleichen
 
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