146
Psychologie der Weltanschauungen
Geistestypen zu handeln sein), sondern es sollen nur die möglichen Weltbilder cha-
rakterisiert werden.
Was der Einzelne als Weltbild sieht und hat, suchen wir bei genetischer Analyse auf
die zwei Quellen zurückzuführen: auf das, was dem Individuum von außen geboten wird,
was ihm aus Erfahrungen und Situationen zuströmt; und zweitens die von ihm ausge-
henden Perspektiven und die Auswahl. Das Erstere setzt Grenzen und mag das Gebotene
noch so reich sein; vielleicht wäre für das Individuum in seiner spezifischen Artung
das Fehlende gerade das Entscheidende gewesen. Das Zweite ist ein anderer Ausdruck
für die »Anlage«, das eigene Wesen, den Charakter').157
145 | Sprechen wir von Weltbildern, so meinen wir das gegenständliche Bewußtsein,
die Horizonte, die vom Ich aus in der Subjekt-Objektspaltung gegenständlich gesehen
werden. Dieses formale Gegenüber ist aber nur der Ausgangspunkt, um die psycholo-
gischen Zusammenhänge zu sehen, die gleichsam davor und dahinter liegen. In einer
Weltanschauungspsychologie, in der die Grenzen des seelischen Erlebens abgeschrit-
ten werden, haben wir es nicht mit dem im Augenblick den Einzelmenschen gegen-
wärtigen »aktuellen« Weltbild zu tun, das immer wechselt und sich jeweils nur auf ein
weniges bezieht, sondern mit dem potentiellen und ganzen Weltbild, das dem Einzel-
menschen tatsächlich zur Verfügung steht, wenn er es auch in keinem einzelnen Au-
genblick vollständig im Bewußtsein haben kann. In diesem Weltbild, das dem Men-
schen gegeben ist, auch wenn es in keinen Augenblick ganz eingeht, unterscheiden
wir Reihen oder Stufen, die uns die Weisen, in denen das Weltbild mit der Persönlichkeit
verknüpft ist, charakterisieren:
Was wir Weltbild nennen, ist uns nicht bloß ein fremdes Gegenüber, das uns nicht
berührt, sondern es ist uns mehr oder weniger verwachsen. Was wir die Seele, das Ich,
die Persönlichkeit nennen, ist immer ein Ganzes, in dem Weltbilder so assimiliert sind,
daß mit ihrem Wegfall auch die Seele aufhören würde. Was für den psychologischen
Beobachter die Welt eines Menschen ist, ist für diesen selbst oft nur als faktisches Er-
Daß ein jeder aus der Unendlichkeit des möglicherweise Gegenständlichen einen Teil, nur Seiten
sieht, die er auswählt, ist von der vorsokratischen Philosophie in die oft wiederholte Formel ge-
faßt: daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werde. Ein jeder sieht nur, was ihm adäquat, ihm ähn-
lich ist. Die Seele und die Dinge müssen verwandt sein. Beispiele dafür sind: Heraklit: Das Be-
wegte wird nur durch das Bewegte erkannt. - Empedokles: »Erde gewahren wir stets durch Erde,
durch Wasser das Wasser, göttlichen Äther durch Äther, verwüstendes Feuer durch Feuer, Liebe
durch Liebe zumal und Streit mit traurigem Streite.« - Plato: Das Auge sei nicht die Sonne, aber
das sonnenähnlichste unter allen Werkzeugen der Wahrnehmung. - Plotin: »Nie hätte das Auge
jemals die Sonne gesehen, wenn es nicht selber sonnenhaft wäre; so kann auch eine Seele das
Schöne nicht sehen, wenn sie nicht selbst schön ist. Darum werde jeder zuerst gottähnlich und
schön, wenn er das Gute und Schöne sehen will.« - Goethe:
»Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken.
Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken.«
Psychologie der Weltanschauungen
Geistestypen zu handeln sein), sondern es sollen nur die möglichen Weltbilder cha-
rakterisiert werden.
Was der Einzelne als Weltbild sieht und hat, suchen wir bei genetischer Analyse auf
die zwei Quellen zurückzuführen: auf das, was dem Individuum von außen geboten wird,
was ihm aus Erfahrungen und Situationen zuströmt; und zweitens die von ihm ausge-
henden Perspektiven und die Auswahl. Das Erstere setzt Grenzen und mag das Gebotene
noch so reich sein; vielleicht wäre für das Individuum in seiner spezifischen Artung
das Fehlende gerade das Entscheidende gewesen. Das Zweite ist ein anderer Ausdruck
für die »Anlage«, das eigene Wesen, den Charakter').157
145 | Sprechen wir von Weltbildern, so meinen wir das gegenständliche Bewußtsein,
die Horizonte, die vom Ich aus in der Subjekt-Objektspaltung gegenständlich gesehen
werden. Dieses formale Gegenüber ist aber nur der Ausgangspunkt, um die psycholo-
gischen Zusammenhänge zu sehen, die gleichsam davor und dahinter liegen. In einer
Weltanschauungspsychologie, in der die Grenzen des seelischen Erlebens abgeschrit-
ten werden, haben wir es nicht mit dem im Augenblick den Einzelmenschen gegen-
wärtigen »aktuellen« Weltbild zu tun, das immer wechselt und sich jeweils nur auf ein
weniges bezieht, sondern mit dem potentiellen und ganzen Weltbild, das dem Einzel-
menschen tatsächlich zur Verfügung steht, wenn er es auch in keinem einzelnen Au-
genblick vollständig im Bewußtsein haben kann. In diesem Weltbild, das dem Men-
schen gegeben ist, auch wenn es in keinen Augenblick ganz eingeht, unterscheiden
wir Reihen oder Stufen, die uns die Weisen, in denen das Weltbild mit der Persönlichkeit
verknüpft ist, charakterisieren:
Was wir Weltbild nennen, ist uns nicht bloß ein fremdes Gegenüber, das uns nicht
berührt, sondern es ist uns mehr oder weniger verwachsen. Was wir die Seele, das Ich,
die Persönlichkeit nennen, ist immer ein Ganzes, in dem Weltbilder so assimiliert sind,
daß mit ihrem Wegfall auch die Seele aufhören würde. Was für den psychologischen
Beobachter die Welt eines Menschen ist, ist für diesen selbst oft nur als faktisches Er-
Daß ein jeder aus der Unendlichkeit des möglicherweise Gegenständlichen einen Teil, nur Seiten
sieht, die er auswählt, ist von der vorsokratischen Philosophie in die oft wiederholte Formel ge-
faßt: daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werde. Ein jeder sieht nur, was ihm adäquat, ihm ähn-
lich ist. Die Seele und die Dinge müssen verwandt sein. Beispiele dafür sind: Heraklit: Das Be-
wegte wird nur durch das Bewegte erkannt. - Empedokles: »Erde gewahren wir stets durch Erde,
durch Wasser das Wasser, göttlichen Äther durch Äther, verwüstendes Feuer durch Feuer, Liebe
durch Liebe zumal und Streit mit traurigem Streite.« - Plato: Das Auge sei nicht die Sonne, aber
das sonnenähnlichste unter allen Werkzeugen der Wahrnehmung. - Plotin: »Nie hätte das Auge
jemals die Sonne gesehen, wenn es nicht selber sonnenhaft wäre; so kann auch eine Seele das
Schöne nicht sehen, wenn sie nicht selbst schön ist. Darum werde jeder zuerst gottähnlich und
schön, wenn er das Gute und Schöne sehen will.« - Goethe:
»Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken.
Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken.«