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Psychologie der Weltanschauungen
147 Kind wäre wohl im| stände, im Rahmen des alten Milieus einzelnes Neue zu assimilie-
ren. Bei der Fülle des Neuen und der vollkommenen Trennung vom Alten ist es nur
ganz ratlos, aller Halt ist geschwunden, alles Selbstbewußtsein, das im Zusammenhang
mit der Umgebung bestand, ist ihm verloren. Und es hat das Bewußtsein, alles verlo-
ren zu haben: Die Welt ist abgestorben, es ist selbst tot, ohne Gefühl«').160 Mit der Hei-
mat hat es sein Ich verloren.
Durch den Prozeß der Bildung, der schließlich zum Überwiegen des objektivierten,
gewußten und damit in die Sphäre des Allgemeinen getretenen Weltbildes führt, wird
auch die Welt, mit der der Mensch zugleich verwachsen ist, immer größer. Einer so
vollkommenen Beraubung der gesamten Welt, wie sie dem heimwehkranken Kinde
widerfährt, ist dieser Mensch nicht mehr ausgesetzt. Gewaltige Stücke seines Univer-
sums können ihm entrissen werden, aber er hat doch immer einen Rest von Leben in
der Welt, die noch für ihn da ist. Immer aber bedarf das Leben der Seele dieser verwach-
senen, dieser konkreten, individuellen Welt, in der das Allgemeine immanent, allein
wirklich ist.
In dem Weltbild des bloß Allgemeinen, des bloß Gewußten ist kein Leben. Als »ge-
lerntes Wissen«, in der Form von Konstruktionen und Fachwerken, von Sprache und
Gedanken ist eine Welt da, die doch nur ein Kartenhaus, nichtig ist, wenn sie nicht
konkret wird, d.h. in »Herz«, »Gemüt«, in adäquater Selbsterfahrung in der sinnlichen
Realität verankert ist. Es gibt zwei Arten: 1. An Stelle der lebendigen Welt tritt ein
Schema, an Stelle des aus dem Erlebten heraus objektivierten Weltbildes eine bloße
Form desselben. Während wir z.B. im Anschaulichen, Unmittelbaren immer neu Ge-
genstände bilden und fassen, in Konkretheit und Lebendigkeit, erstarren oder blen-
den wir uns durch fertige Schemata, als welche allein wir alles Gegenständliche wahr-
nehmen. Statt wahrzunehmen, statt anschaulich zu leben, apperzipieren wir nur
unter die Schemata und sehen faktisch nichts mehr. Wir begnügen uns, zu identifizie-
ren und sind faktisch blind. Und der Reichtum der Schemata kann Leben vortäuschen,
während in der einfachsten unmittelbaren Anschaulichkeit mehr Leben ist. 2. Aber
auch anschauliche, erfüllte, inhaltlich, nicht nur formal reiche Weltbilder kann der
Mensch sich äußerlich aneignen, ohne in ihnen zu leben. Solche Weltbilder sind un-
ter den bloß gewußten die unechten im Gegensatz zu nur formalisierten. Man findet
148 Menschen, die alle möglichen Weltbilder als Kostüm benutzen. | Das Wissen von den
Weltbildern ist noch nicht unecht, aber wenn das Wissen benutzt wird, im Leben sich
die Geste zu geben, in diesen Weltbildern auch faktisch zu existieren, ist die Bahn zum
Unechten beschritten.
Das faktische Ineinander der drei Weisen des Weltbildes, die eben isoliert charak-
terisiert wurden, bedeutet nicht nur den Prozeß, der vom Unmittelbaren bis zum Ent-
Vgl. meine Dissertation »Heimweh und Verbrechen« (im Archiv f. Kriminalanthropologie). Dort
Kasuistik.
Psychologie der Weltanschauungen
147 Kind wäre wohl im| stände, im Rahmen des alten Milieus einzelnes Neue zu assimilie-
ren. Bei der Fülle des Neuen und der vollkommenen Trennung vom Alten ist es nur
ganz ratlos, aller Halt ist geschwunden, alles Selbstbewußtsein, das im Zusammenhang
mit der Umgebung bestand, ist ihm verloren. Und es hat das Bewußtsein, alles verlo-
ren zu haben: Die Welt ist abgestorben, es ist selbst tot, ohne Gefühl«').160 Mit der Hei-
mat hat es sein Ich verloren.
Durch den Prozeß der Bildung, der schließlich zum Überwiegen des objektivierten,
gewußten und damit in die Sphäre des Allgemeinen getretenen Weltbildes führt, wird
auch die Welt, mit der der Mensch zugleich verwachsen ist, immer größer. Einer so
vollkommenen Beraubung der gesamten Welt, wie sie dem heimwehkranken Kinde
widerfährt, ist dieser Mensch nicht mehr ausgesetzt. Gewaltige Stücke seines Univer-
sums können ihm entrissen werden, aber er hat doch immer einen Rest von Leben in
der Welt, die noch für ihn da ist. Immer aber bedarf das Leben der Seele dieser verwach-
senen, dieser konkreten, individuellen Welt, in der das Allgemeine immanent, allein
wirklich ist.
In dem Weltbild des bloß Allgemeinen, des bloß Gewußten ist kein Leben. Als »ge-
lerntes Wissen«, in der Form von Konstruktionen und Fachwerken, von Sprache und
Gedanken ist eine Welt da, die doch nur ein Kartenhaus, nichtig ist, wenn sie nicht
konkret wird, d.h. in »Herz«, »Gemüt«, in adäquater Selbsterfahrung in der sinnlichen
Realität verankert ist. Es gibt zwei Arten: 1. An Stelle der lebendigen Welt tritt ein
Schema, an Stelle des aus dem Erlebten heraus objektivierten Weltbildes eine bloße
Form desselben. Während wir z.B. im Anschaulichen, Unmittelbaren immer neu Ge-
genstände bilden und fassen, in Konkretheit und Lebendigkeit, erstarren oder blen-
den wir uns durch fertige Schemata, als welche allein wir alles Gegenständliche wahr-
nehmen. Statt wahrzunehmen, statt anschaulich zu leben, apperzipieren wir nur
unter die Schemata und sehen faktisch nichts mehr. Wir begnügen uns, zu identifizie-
ren und sind faktisch blind. Und der Reichtum der Schemata kann Leben vortäuschen,
während in der einfachsten unmittelbaren Anschaulichkeit mehr Leben ist. 2. Aber
auch anschauliche, erfüllte, inhaltlich, nicht nur formal reiche Weltbilder kann der
Mensch sich äußerlich aneignen, ohne in ihnen zu leben. Solche Weltbilder sind un-
ter den bloß gewußten die unechten im Gegensatz zu nur formalisierten. Man findet
148 Menschen, die alle möglichen Weltbilder als Kostüm benutzen. | Das Wissen von den
Weltbildern ist noch nicht unecht, aber wenn das Wissen benutzt wird, im Leben sich
die Geste zu geben, in diesen Weltbildern auch faktisch zu existieren, ist die Bahn zum
Unechten beschritten.
Das faktische Ineinander der drei Weisen des Weltbildes, die eben isoliert charak-
terisiert wurden, bedeutet nicht nur den Prozeß, der vom Unmittelbaren bis zum Ent-
Vgl. meine Dissertation »Heimweh und Verbrechen« (im Archiv f. Kriminalanthropologie). Dort
Kasuistik.