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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0258
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Psychologie der Weltanschauungen

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ganze Welt, die so in die Gestalt des naturmythischen Weltbildes getaucht wird. Alle
die Analogien, symbolischen Beziehungen in der Welt, welche im Mythischen wie ein
Märchen aussehen, werden zu Handlungsmöglichkeiten ausgemünzt. Von schwärme-
rischer Aktivität Glaubender bis zu errechneten Handlungen, die ganz die Form des
technischen Rationalismus haben, zieht sich hier eine Reihe, die aus der Verwechs-
lung sinnlich-räumlicher Realität, deren Zusammenhänge für uns vermittelte sind,
mit der eigentümlichen gegenständlichen Welt des Mythischen entspringt; und aus
der Übertragung des erlebten magischen Verhältnisses von Geist und Leib auf weitere
Verhältnisse, in denen dieses nicht gegeben ist. So wird das magische Verhältnis zu ei-
ner vermeintlichen magischen Technik.
Die Kunst bleibt die Grenze der Technik, das Magische an jener einen Stelle Bedin-
gung des Könnens; aber alle drei sind voneinander wesensverschiedene Sphären.
Die magische Technik objektiviert sich in Riten, Institutionen, Zauberformen; das
Können ist in Persönlichkeiten und in Tradition; das Technische wird eine neue Welt,
damit entsteht ein technisches Weltbild.
Dies technische Weltbild ist dadurch verschieden, daß die technische Welt so rie-
senhaft183 wird: sich ihrer zu bemächtigen, sie zu beherrschen, sie zu durchschauen,
gelingt im ganzen niemand, im Prinzip wenigen. Die Mehrzahl der Menschen steht
ihr gegenüber, ohne sie zu verstehen, es ist für sie eine zweite Natur, aber eine Welt,
die sie nicht beherrschen, sondern der sie unterworfen sind. Sie wird eine Last, und sie
bekommt schließlich für den Menschen ein eigenes Leben: die Maschine lebt für ihn,
diese ganze Welt ist eine Macht, eine Kraft. Und was der Mensch sich unterwarf, was
ihm Mittel und durchaus Eigentum war, wird für andere schlimmer als der Widerstand
der Natur. Diese Entwicklung, deren Zusammenhang mit soziologischen Unvermeid-
lichkeiten hier nicht zu erörtern ist, | führt dazu, daß das technische Weltbild in zwei sich
entgegengesetzten Typen zu charakterisieren ist:
Der eine lebt im Können und in der Beherrschung des Technischen. Ihm gilt zwar
das BACONsche: natura non nisi parendo vincitur,184 aber dies Verfahren bedeutet ihm
Schaffen, Erweitern des technischen Weltbildes. Er ist der Erfinder. Das Technische be-
geistert ihn als das Medium seiner selbst ganz unberechenbaren schöpferischen Akti-
vität, die eine eigentümliche Mitte zwischen Handeln und Betrachten hält: Es ist keine
Aktivität im typischen Sinne, da Verantwortung, Schuld, konkretes Situationshandeln
absolut individuellen Charakters fehlt, es wird vielmehr nur ein Werkzeug geschaffen,
mit dem erst gehandelt werden soll; andererseits ist es keine reine Kontemplation, weil
gerade durch diese Werkzeuge die ungeheuersten Wirkungen erzielt und beabsichtigt
werden: die Lust des Weltenschöpfers beim Erfinden. So lebt der Erfinder als Herr und
Schöpfer des Technischen am Rande der technischen Welt, könnend, aber nicht un-
terworfen in bloßer Leistung. Er hat die Lust am Technischen, weil er schafft, wie der
Organisator an der Organisation, indem er sie einrichtet und dabei seine Macht und
die Auswirkung seines Gedankens in einem bleibenden Apparat erfährt. Beide hätten

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