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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0260
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Psychologie der Weltanschauungen

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B. Das seelisch-kulturelle Weltbild.
Das sinnlich-räumliche Weltbild ist ohne Seelisches vorstellbar, nicht umgekehrt. Die
seelische Welt ist konkret, anschaulich, real, wie jene sinnlich-räumliche Welt, aber
sie ist nicht losgelöst, isoliert neben dieser da, sondern nur gegeben durch ihre Objek-
tivationen in der sinnlich-räumlichen Welt. Daher hat die seelische Welt überall eine
Seite der »Natur«; sie ist überall mit dieser ihrer Seite in die schon geschilderten Welt-
bilder eingeschlossen, die insofern über sie übergreifen; und ist so in den Formen des
Mechanischen, der bloßen Mannigfaltigkeit unbegriffener Phänomene, des Mythi-
schen aufzufassen.
Die andere, spezifische Seite des seelischen Weltbildes, derentwegen sie eine beson-
dere Welt ist, ist das Verstehbare, das heißt das Innere im Gegensatz zum Äußeren der
Natur. Es wird von innen und doch anschaulich gesehen, als Phänomen und Zusam-
menhang, als Sinn, als Motiv und Tendenz usw. Lösen wir dieses Verstehbare los, be-
trachten es für sich, so haben wir noch Anschauliches | vor uns, aber Unwirkliches: Ty-
pen, gleichsam eine Mathematik der seelisch-geistigen Welt; wir konstruieren
anschaulich solche Typen, zwar im Hinblick auf die Wirklichkeiten, um Mittel der
Wirklichkeitserkenntnis zu schaffen, aber doch in einem gleichsam unwirklichen
Raum. Es ist das Verfahren unserer ganzen psychologischen Betrachtung in diesem Bu-
che. Überall, wo wir seelisch-kulturelle Weltbilder als Wirklichkeiten betrachten, sind
wir zugleich im sinnlich-räumlichen Weltbild. Noch innerhalb dieses letzteren ma-
chen wir überall den Sprung in die seelisch-kulturelle Welt: So treten wir beispielsweise
jedesmal von der einen in die andere Welt, wenn wir eine natürliche Landschaft oder
eine Kulturlandschaft sehen, physische Geographie oder Anthropogeographie, Phy-
siologie des Organlebens und auch des Gehirns oder Psychophysiologie treiben, ob
wir Muskellähmungen als solche oder diese Lähmungen, z.B. Hysterischer, als Zeichen
seelischer Vorgänge ansehen, ob wir die Muskulatur und ihre mechanischen Leistun-
gen im Gesicht oder die Mimik etwa des Lachens betrachten usw. Alle Arten der see-
lisch-kulturellen Weltbilder können darum entweder als Glieder mechanischer und
anderer Natur Weltbilder oder als spezifisch verstehbare Innenwelten gesehen werden.
Insofern aber die seelischen Weltbilder in den Naturformen gesehen werden, wirken
diese sich charakteristisch aus. Es kann das soziologische, das psychologische, das po-
litische Weltbild als Naturweltbild genommen werden, und man sucht und glaubt zu
finden: Elemente, Gesetze, Synthese der Elemente, Theorie, Erklärungen, alles auf
Grund von unverstehbaren Gegebenheiten. Die psychologischen Theorien von seeli-
schen Elementen und deren Kombinationen, die Gesetze der Nationalökonomie (so-
fern sie nicht als Idealtypen genommen werden) entsprechen den naturmechanischen
Vorstellungen; die geschichtlichen Ideen von Volksgeistern, Rassen, die Gedanken von
wachsenden historischen Prozessen in substantiellen Perioden gleich den Lebensal-
tern entsprechen den naturgeschichtlichen und den naturmythisehen Vorstellungs-
weisen.

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