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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0263
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Psychologie der Weltanschauungen

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unsinnlichen, transzendentalen Gesetzlichkeiten, das Logische, Ästhetische, die Wis-
senschaften; - ferner die Welt der soziologischen Strukturen: der Technik, der Politik
und Strategie, des Rechts, des Staats, der Kirche; der wirtschaftlichen Gesetzlichkeiten,
der Organisation und Apparate aller Art; der Berufe, der Bureaukratien ... überhaupt:
die Welt des objektiven Geistes.
Die objektive Kulturwelt und die subjektive Menschenwelt seien noch mit einigen
Worten in den isolierten Gestalten charakterisiert, die sie annehmen, wenn sie sich
nicht mehr gegenseitig aufeinander beziehen:
a) Das objektive Weltbild der Kultur isoliert vorgestellt, kann einen außerordentli-
chen Reichtum an Inhalten von fremder und fremdester menschlicher Kultur gewin-
nen, und hat es in den Einzelwissenschaften des Geistes gewonnen, aber so lange es
ohne alle Beziehung auf die subjektive Erlebniswelt bleibt, hat es einen äußerlichen
Charakter. Es hat auf dem Gebiete des Geistes eine gewisse Analogie zu dem mechani-
schen Weltbild der Natur. Es erfaßt zwar viele vereinzelte Eigengesetzlichkeiten objek-
tiver Kulturzusammenhänge (Wirtschaft, Recht, Politik, Strategie, Rede, Sprache usw.),
dringt aber nirgends ins Innere. Da alle objektiven Kulturinhalte gesehen und erfaßt,
da von ihnen Besitz ergriffen werden kann, als ob sie ganz selbständige und eigenge-
setzliche wären - wenn sie auch nie und nimmer selbst »gemacht« werden können -,
da die schaffenden Menschen nicht recht gesehen (wenn auch wohl theoretisch ge-
dacht werden), so besteht bei denjenigen, die diesem Typus des Weltbildes unterwor-
fen sind, eine charakteristische Menschenblindheit (in Geschichte und Leben) und
ein ganz geringer Sinn für Niveauunterschiede der Persönlichkeiten. Persönlichkeiten
werden hier immer nur äußerlich gesehen, nach »Leistungen«, »Einsichten«, »Wer-
ken« und in dem Maße wertgeschätzt, als diese Leistungen dem sie zur Kenntnis Neh-
menden neu sind. Bei dem geringen Sinn für persönliche Substanzunterschiede wer-
den oft rezeptiv gewandte Individuen maßlos überschätzt und besteht andererseits ein
174 geringer Respekt, kein Maßstab der Entfernung, ein beinahe freundschaftlich | grober
Verkehr mit den Größen der Menschheit. In der Beurteilung der Zeitgenossen sind
überall äußere Erfolge und Effekte (trotz aller Theorien vom Gegenteil) entscheidend.
Überall werden den äußerlichen Kulturinhalten nach mögliche, dem Persönlich-Psy-
chologischen nach aber unmögliche Vergleiche angestellt: zwischen Menschen ganz
verschiedener Wesensart, die sich scheinbar ähnlichen Dingen zugewandt haben.
Charakteristisch ist die Hilflosigkeit der Persönlichkeit gegenüber, wenn das Werk
nicht in das gewohnte objektive Kulturbild einzuordnen ist: wie etwa Nietzsche mit
aller Gewalt unter die Dichter gestellt werden sollte.
b) Das polare Korrelat zu diesem Weltbild ist das Bild der subjektiven Erlebnis- und
Menschenwelt. Könnte man das erstere »rational«, äußerlich nennen, so dieses anschau-
end, innerlich; das erstere hat einen gewaltsamen, das letztere einen natürlicheren
Charakter. Hier werden Menschen gesehen und alle Kulturinhalte in Hinsicht auf den
Menschen und die Mannigfaltigkeit seines Wesens. Jenes erstere Weltbild eignet sich
 
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