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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0275
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Psychologie der Weltanschauungen

gerade im Gegensatz zum unmittelbar Gegebenen ein dahinter Liegendes, nur Erschließ-
bares, für das alles Unmittelbare Hinweis, Zeichen, bloße Erscheinung ist.
Eine Typologie der metaphysischen Weltbilder versuchen wir nunmehr in drei Rich-
tungen. Wir finden Typenreihen i. nach dem Ort des metaphysischen Weltbildes als
eines einzelnen Ganzen im Ganzen der Weltbilder überhaupt, 2. nach den Inhalten der
metaphysischen Weltbilder, 3. nach den subjektiven Typen philosophischen Denkens.
I. Der Ort des metaphysischen Weltbildes als eines einzelnen
Ganzen im Ganzen der Weltbilder überhaupt.
Im metaphysischen Weltbild kann der Mensch leben als in einem Ganzen, das ihn je-
derzeit und überall umfängt. Er kann in der unmittelbaren Ganzheit leben, oder es tritt
188 eine Spaltung in Diesseits | und Jenseits ein: das metaphysische Weltbild ist ein jensei-
tiges geworden, der Mensch lebt nicht ganz, nicht immer, sondern nur zeitweise darin,
oder er lebt überhaupt nie darin, sondern wirft bloß dahin seinen Blick, seine Ahnung,
seinen Gedanken, seinen dogmatischen Inhalt.
Das Leben in der unmittelbaren Ganzheit der Welt läßt nichts sich loslösen und abso-
lut verselbständigen. Alles, das Edelste und Gemeinste, das Größte und das Kleinste,
das Dauernde und das Momentane, ist diesem Menschen eingetaucht in ein Metaphy-
sisches, ist durch einen Strahl des Metaphysischen durchleuchtet. Überall fühlt sich
der Mensch geborgen, beheimatet. Es gibt nichts für ihn, in dem und durch das er nicht
direkte Berührung mit dem Absoluten hat. Das Absolute ist allgegenwärtig und all-
durchdringend. Das Absolute ist nicht eine Abstraktion, nicht ein Gedanke, nicht ein
etwas neben anderen, über anderen, sondern es ist wirklich das Ganze, und es ist da in
sinnlicher Konkretheit und leibhaftiger Erfahrung. Es ist wirklich allumschließend,
und es ist nicht über das Konkrete hinaus, nicht dahinter, keine »Hinterwelt«,200 son-
dern unmittelbar in mir und meiner Welt anwesend. Es ist ein Weltbild, das nur der Ge-
gensatz ist zu einem Chaos auseinanderfallender Weltbilder und Inhalte, es ist das Welt-
bild, in dem alles Unendliche, Mannigfaltige als ein Ganzes nicht gedacht (das ist
unwirksam), sondern erlebt und erfahren wird. Weil alles Teil im Ganzen ist, hat alles
eine Bedeutung und nichts Einzelnes absolute Bedeutung. Wenn es auch nicht als sol-
ches begriffen ist, so kann es doch jederzeit in diesem Weltbild so erfahren werden.
Das metaphysische Weltbild unmittelbarer, ungespaltener Ganzheit denken wir uns als das
des Mittelalters. Es ist das Weltbild der frühen Griechen (der Philosophen). Es ist das Weltge-
fühl Goethes und die Forderung und Sehnsucht Nietzsches. Es ist im primitivsten Leben mög-
lich und als letztes Resultat unendlicher Differenzierung in Gestalt einer durch alle Scheidun-
gen vermittelten neuen Unmittelbarkeit.
Spricht sich dieses metaphysische Weltbild aus, so ist es seinem Sinne nach das ein-
zige Weltbild. Es ist nicht projiziert in einen leeren Raum des Jenseits, sondern durch-
 
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