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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0279
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Psychologie der Weltanschauungen

feit, diese besonderen Bewußtseinszustände zu erreichen. Die Begründung besteht
nicht in logischer Evidenz, nicht in allgemein verbreiteter Anschaulichkeit, sondern
in der Aufforderung, sich selbst, seine Bewußtseinszustände zu ändern, in sich das Spe-
zifische zum Entstehen zu bringen. Es werden nicht menschliche Erfahrungen, Erleb-
nisse, Konflikte gedeutet und in eine philosophische Welt gehoben, sondern erst aus
ganz anderen Quellen die metaphysische Welt durch Umformung des Seelenlebens
geschaffen. So kann eine Mannigfaltigkeit von Weltreichen nach der Mannigfaltigkeit
der Bewußtseinszustände entspringen im Gegensatz zum philosophischen Weltbild,
das an unsere allgemein menschliche Struktur und Fähigkeit appelliert. Im Buddhis-
mus z.B. »erscheinen die einzelnen Bewußtseinssphären zugleich als bestimmte Welt-
sphären. Die Begriffe >Bewußtseinsstufen< und >Welten< oder Weltsphärem gehen im
Buddhismus vollständig ineinander über, und alles, was Buddha in scheinbar so
phantastischer Weise über verschiedene Weltsphären lehrt, bezieht sich eben nur auf
die Erfahrungen des meditativen Bewußtseins«. (Beckh, Buddhismus, II, 52.)201
Diese spezifischen Erfahrungen sind zu einem Teil der psychologischen Untersu-
chung zugänglich. Sie sind zu einem Teil Erfahrungen, die von bestimmten abnormen
Seelenprozessen abhängig sind (die wir durch die Psychopathologie kennen), oder es
sind typische Züchtungsprodukte, die man zum Teil, aber auch nur zum Teil an den
hysterischen und hypnotischen Mechanismen in unserer Zeit sehen kann.
Das dämonisch-mythologische Weltbild spielt, nachdem schon die Differenzie-
193 rung eingetreten ist, noch eine große Rolle. Zunächst | in abgeleiteten, halbechten Ge-
stalten, wie sie dem Hang des Menschen zum Wunderbaren (bloß als einem Wunderba-
ren), dem Hang zum Geheimnis und Geheimnisvollen entsprechen. Diese Gestalten
sind in allen Jahrhunderten bis zur Gegenwart da. Shaftesbury schildert sie um 1700
nicht anders, als man sie heute schildern müßte'):202
»Man sprach mit großer Gelehrsamkeit über die Natur der Geister und Erscheinungen, von
denen die erstaunlichsten Berichte unsere Freunde am meisten entzückten, die sich einander
in Wundergeschichten überboten und unglaubliche Geschicklichkeit bewiesen, einer den an-
deren in Erstaunen zu setzen. Nichts entzückte sie so sehr, als was ungereimt und unheimlich
war; nichts befriedigte sie so, als was sie mit Grauen erfüllte. Kurz, das Vernünftige, Begreifliche
und Verständliche war nicht nach ihrem Geschmack, und nichts kam ihnen ungelegen, was
der Natur und Ordnung zuwiderlief und in keinem Verhältnis und in keiner Harmonie zu den
übrigen Dingen der Welt stand ...« Shaftesbury spricht von den »graulichsten Geschichten,
die in der gebräuchlichen Weise hochtrabend, mit einem prahlerischen Tone von Autorität und
mit einer anmaßenden Miene von Wahrheit vorgebracht wurden«. Skeptizismus gibt solchen
Menschen Ärgernis. Schließlich verliert so einer die Geduld und sagt, es sei anmaßend, zu leug-
nen, was durch Zeugnis der ganzen Menschheit belegt sei. Es verschlägt nicht ihm gegenüber
zu sagen: man leugne nicht, sondern stelle nur in Frage: es gewähre doch überhaupt dem Men-
schen kein kleines Vergnügen, ihre Träume für Wirklichkeit gelten zu lassen und die Liebe zur

Shaftesbury, Moralisten, Übers, in der phil. Bibi. S. ißiff.
 
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