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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0281
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Psychologie der Weltanschauungen

noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht
von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die
Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle verein-
ten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil des Menschen
sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezo-
gen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen, und sie sind durch nichts zu über-
winden als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Be-
merkungen mag wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra
deum nisi deus ipse.«2OS
Daß das Dämonische in Beziehung zum Übersinnlichen steht, ist deutlich. Daß es auch et-
was Totales ist, kommt ausdrücklich bei der Erörterung der Wirkung von Gebäuden zum Aus-
druck: »die Totalwirkung bleibt immer das Dämonische, dem wir huldigen.«1)206
Negativ wird das Dämonische charakterisiert: »Es ist dasjenige, was durch Verstand und Ver-
nunft nicht aufzulösen ist«“).207 »In der Poesie ist durchaus etwas Dämonisches, und zwar vor-
195 züglich in der unbewußten, bei | der aller Verstand und alle Vernunft zu kurz kommt, und die
daher auch so über alle Begriffe wirkt«"')-20'8
Die Erfahrungen des realen Lebens in ihrer Verwicklung - nicht eine spezifische Quelle be-
sonderer Bewußtseinszustände - bringen zum Erfassen des Dämonischen. »Man kommt dahin,
in solchen Fällen an eine höhere Einwirkung, an etwas Dämonisches zu glauben, das man an-
betet, ohne sich anzumaßen, es weiter erklären zu wollen«i * * iv).2°9
Wenn das Dämonische auch nicht weiter zu erklären ist, es ist doch in der Mannigfaltigkeit
der Manifestationen zu beschreiben: Von seinen Bedingungen heißt es: »Auch wählt es gern et-
was dunkle Zeiten. In einer klaren, prosaischen Stadt, wie Berlin, fände es kaum Gelegenheit
sich zu manifestieren«v).2I° Das Dämonische pflegt jede Leidenschaft zu begleiten und findet in
der Liebe sein eigentliches Elementvi vii viii).211
Das Dämonische steckt in den Menschen, in den Begebenheiten, eigentlich in der Verbin-
dung von beiden; es steckt auch in der Natur und wird von Goethe in heterogensten Gelegen-
heiten bemerkt. Im Menschen ist der Dämon zunächst der absolut individuelle Charakter:'-")2'2
»Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen ...«
Dazu erläutert Goethe: »Der Dämon bedeutet hier die notwendig bei der Geburt unmittelbar
ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der
Einzelne von jedem anderen, bei noch so großer Ähnlichkeit unterscheidet«™).213

i 30, T24.
ü Eckermann (Reclam) II, 204.
üi II, 207.
iv II, T90.
v II, 229.
vi III, 2TTff.
vii 2, 252.
viii 2,355-
 
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