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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0284
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Psychologie der Weltanschauungen

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nicht so rasch zum Ziele, als wir denken und wünschen. Immer sind die retardierenden Dämo-
nen da, die überall dazwischen und überall entgegentreten, so daß es zwar im ganzen vorwärts
geht, aber sehr langsam ,..«i ii iii)237
In diesen Stellen ist schon aufgefallen, daß es gute und böse Dämonen für Goethe gibt. Dieser
Gegensatz ist zur Charakteristik dieses Weltbildes entscheidend: Goethe spricht von seligen
und Fluchdämonen“),238 die sich um den Menschen streiten. Er kennt den Widerdämon1“)239 und
günstige Dämoneniv).24°
Ottilie (in den Wahlverwandtschaften) sagt: »Ich bin aus meiner Bahn geschritten, und ich
soll nicht wieder hinein. Ein feindseliger Dämon, der Macht über mich gewonnen, scheint mich
von außen zu hindern, hätte ich mich auch mit mir selbst wieder zur Einigkeit gefunden«v).241
Selten deutet Goethe auch an, wie ein Weltbild des Dämonischen, wie Kräfte in uns, die das
Dämonische nicht hinnehmen, sondern aufsuchen, in die Irre des Unechten gehen: Es wird »ein
gewisser Aberglaube an dämonische Menschen niemals aufhören«, zu jeder Zeit wird sich im-
mer ein Lokal finden, »wo das problematisch Wahre, vor dem wir in der Theorie allen Respekt
haben, sich in der Ausübung mit der Lüge auf das allerbequemste begatten kann« (gelegentlich
des Cagliostro)vi vii).242

»Und verächtlicher nichts als die Moral der Dämonen
In dem Munde des Volks, dem noch die Menschlichkeit fehlt«™).243

Das Dämonische Goethes ist alles, was der Ordnung, dem Logos, der Harmonie wi-
derspricht und doch nicht bloß negativ, sondern von diesem selbst ein Bestandteil ist.
Das Unbegreifliche, welches uns doch im wichtigsten beherrscht, ist das Dämonische,
das jeder | lebendig Erfahrende, der nicht an der Oberfläche oder am festen schemati- 198
sehen Weltbild haftet, als Grauen erleben muß. Dieses, sonst vom bloßen Gedanken
zum Gegenstand gemacht, ist von Goethe durchweg anschaulich in den Manifesta-
tionen gesehen, daher in den Formulierungen widersprechend, nicht völlig einheit-
lich und doch in einheitlicher Richtung liegend. Goethe bleibt mit der Versinnli-
chung durchweg im Diesseitigen, in den erlebten, sehbaren Manifestationen, nur in
Wenigem greift er zum Bilde der früheren Mythen: Zur Versinnlichung im »Dämon«
als einem gleichsam persönlichen Wesen, und selten zur astrologischen Bestimmung
durch den Stand der Planeten und zur Präexistenz und zu magischen Wirkungen (Ma-
karie).244
Das Dämonische ist von Goethe nicht gesucht, sondern nur erfahren und respek-
tiert, die Grenze seiner Erfahrung. Dadurch steht dieses Weltbild im Gegensatz zu den

‘ ni, 185.
ii 4, 90.
iii 14, I73.
iv 14, I94
v 21,285.
vi 30, 178.
vii 4,193-
 
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