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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0286
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Psychologie der Weltanschauungen

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die Hirnmythologie Wernickes245 und die psychologische Mythologie Freuds zusam-
men.246 Der Materialismus der Epikureer und der Spiritualismus der Stoiker konnten
sich sinnvoll bekämpfen, da sie auf derselben Ebene sich befanden.
Der Philosoph, der sich dieser Sachlage bewußt wird, pflegt darum zu betonen, daß
er weder vom Subjekt, noch vom Objekt ausgehe. Er will weder Materialist noch Spi-
ritualist sein, weil er isolierende Verabsolutierung als Fehler ansieht. So nahm die Iden-
titätsphilosophie247 die »Indifferenz des Absoluten« zum Ausgangspunkt; Schopen-
hauer, der behauptet, daß er zum erstenmal den Fehler, entweder vom Subjekt oder
vom Objekt auszugehen, vermeide, geht von der »Vorstellung« aus, deren erste Form
das Zerfallen in Subjekt und Objekt sei.248 Dieser Typus hat schließlich ein Gemeinsa-
mes: Statt die konkreten Weltbilder zu verabsolutieren, fragt er erst nach den Formen
des Denkens überhaupt, nach den Kategorien aller Weltbilder, nach dem, was Grund-
wissenschaft sein müßte, die für alles Gegenständliche gilt. In diesem Denken des Den-
kens erfaßt er etwas Neues. Er glaubt gleichsam an das Denken, verabsolutiert die For-
men und gewinnt nun ein neues spezifisches Weltbild, das unter dem Namen
Rationalismus und Panlogismus249 geht.
b) Das rationalistische und panlogistische Weltbild. Statt von der Welt als Ganzem zu sa-
gen, sie sei Stoff, oder irgend | etwas konkret Anschauliches als das Absolute zu behaup- 200
ten, erfaßt man hier die Welt als Logos, als Kosmos, als Maß und Zahl, als Sein, als Wer-
den usw. Es sind Formen der Verknüpfung unserer Anschauungen, Formen, die als ein
Netzwerk über alles geworfen werden können, die hier als das Absolute ergriffen sind. In
diesen Formen und ihren eigengesetzlichen Zusammenhängen kann, ohne nach neuen
Erfahrungen zu suchen, gedacht werden. Der Mensch ist geneigt, zumal wenn er zuerst
die wunderbare Kraft des Denkens und dessen, was damit möglich ist, erlebt, seine Ge-
danken selbst für das Absolute zu halten, das Absolute nur im Gedanken im Gegensatz zu
allem anderen, zur Anschauung, die bloß Schein ist, zu finden. Logik und Mathematik
geben den Anlaß zu solchen Erlebnissen und solchen Aspirationen. Das Denken wurde
dem Parmenides schon alles, von dem aus das Übrige verächtlich und täuschend er-
schien. Durch die ganze Philosophiegeschichte zieht sich dieses, das z.B. Spinoza for-
mulierte: Ordo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum.25° Der große
Schritt Hegels war, noch zuletzt einmal damit völlig Ernst zu machen und damit allen
bisherigen Positionen dieses Weltbildes der sich verabsolutierenden Gedanken ihren
Ort und ihre Charakteristik zu geben. Hegel entwickelt in seiner Logik die Stufen des
Gedankens in dialektischer Bewegung und findet bisherige Auffassungen des Absoluten
als Verabsolutierung nur eines möglichen Standpunktes der ratio. Ihm verdanken wir ei-
nen klaren Überblick über diese Positionen: Soviel Arten der begrifflichen Form, soviel
Arten des Absoluten für das rationalistische Weltbild. Die einzelnen Kategorien der Lo-
gik sind die Standpunkte, auf welche das Absolute sich stellen muß. Das Absolute ist das
Sein (Parmenides), ist Nichts (Buddha), ist das Werden (Heraklit), die Quantität (die
Zahl, Pythagoras), das Objekt (Leibniz, Monade), die Substanz (Spinoza), das Subjekt
 
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