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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0315
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222

Psychologie der Weltanschauungen

fälle dieses Allgemeinen, darum konkreter und in der Wirklichkeit das Eindrucksvolle
sind die besonderen Grenzsituationen des Kampfes, des Todes, des Zufalls, der Schuld. In
dieser Reihenfolge wird jetzt die Betrachtung fortgehen, die für die Auffassung der Psy-
chologie der Geistestypen nur Voraussetzung, noch nicht selbst Psychologie ist.
i. Die antinomische Struktur.
Begriffe von Gegensätzen: Es gibt viele Begriffe von Gegensätzen. Dem logischen Gegen-
satz (z.B. bejahenden und verneinenden Urteils) steht der reale Gegensatz (z.B. Anzie-
hung und Abstoßung, Leben und Tod) gegenüber. Von beiden verschieden ist der Wert-
gegensatz (z.B. nützlich und schädlich). Der Typus des logischen Gegensatzes ist der
Widerspruch.295 Der reale Gegensatz tritt auf erstens als bloße Verschiedenheit (z.B. blau
und grün) im Unterschiede von der Gleichheit; zweitens als Polarität (z.B. warm - kalt,
dunkel - hell); zwischen zwei Polen, den äußersten Gegensätzen, verläuft eine Reihe
von Übergängen, die sich als gradweise abgestuft auffassen lassen; drittens als Wider-
streit entgegenstehender Kräfte, die sich hemmen, aufheben, subtrahieren, zu neuen
anderen Kräften vereinigen (z.B. positive und negative Elektrizität, Parallelogramm
der Kräfte, sich bekämpfende Triebe).
Begriff der Antinomie: Nicht alle diese Gegensätze sind Antinomien, aber alle kön-
nen es werden, wenn sie unter den Gesichtspunkt des Absoluten und des Wertes gestellt
werden. Diejenigen logischen Widersprüche sind Antinomien, die unlösbar sind, die
an der Grenze des Erkennens und Denkens stehen, die aufgefaßt, aber nicht als Irrtum,
Fehler, Mißverständnis, nicht als bloß scheinbare beseitigt werden können. Wider-
sprüche bleiben als Antinomien an der Grenze unseres Erkennens angesichts der Un-
endlichkeiten. Darum gehören die Begriffe Unendlichkeit, Grenze und Antinomie zu-
sammen. Reale Gegensätze sind Antinomien, wenn sie als etwas Letztes aufgefaßt
werden, das vom Standpunkt des Wertens aus als wesentlich und fragwürdig erscheint,
und wenn die Existenz als im Letzten in Gegensätze entzweit erfaßt wird, so daß alles
einzelne Dasein nur dann besteht, wenn diese gegensätzlichen Kräfte oder Erscheinun-
gen sich zusammenfinden.
233 | Arten der Antinomien: Der aktuelle - denkende, fühlende, handelnde - Mensch
steht gleichsam zwischen zwei Welten: vor ihm das Reich der Gegenständlichkeiten,
hinter ihm die Kräfte und Anlagen des Subjekts. Seine Situation ist von beiden Seiten
her bestimmt, vor ihm das Objekt, hinter ihm das Subjekt, beide unendlich, beide un-
ausschöpfbar und undurchdringlich. Auf beiden Seiten liegen entscheidende Antino-
mien. Diese machen wir uns zunächst von der Objektseite, dann von der Subjektseite
her klar.
I. Die Antinomien auf der Seite des Objekts.
Diese sind entweder für das Denken und Erkennen oder für das Handeln (theoretisch
oder praktisch) da.
 
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