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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0318
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Psychologie der Weltanschauungen

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Kräfte - hier Kräfte des Erkennens - sind nennbar als Welt, Materie, Energie, Leben,
Seele. Diese Worte bezeichnen keine uns gegebenen Gegenstände. Sie sind, wie Kant
sagt, dem Erkennen nur aufgegeben,297 und zwar so, daß eine Unendlichkeit vor die-
ser Aufgabe liegt, die niemals zu erfüllen ist. Das Letzte bleiben für uns immer die An-
tinomien, die uns auf dem unendlichen Wege vorantreiben. Eine Erfüllung der Un-
endlichkeit müßte die Antinomien auflösen: das ist für uns weder vorstellbar noch
denkbar, sofern wir keine der uns wirklich gegebenen Daten ignorieren. Von den An-
tinomien einiger Ideen seien genannt:
11. Die Welt wird unvermeidlich gedacht in den Antinomien: sie ist unendlich und
endlich, unendlich teilbar und aus letzten Einheiten bestehend, nach Gesetzen not-
wendig und unbegreiflich zufällig oder aus freien Akten entspringend. Die Welt als
Ganzes ist nie unser Gegenstand. Wird von Welt geredet, so ist das entweder ein lee-
res Wort oder eine falsche Hypostasierung einer aufgegebenen Unendlichkeit zu ei-
nem festen, abgeschlossenen Ganzen, oder Idee, jedenfalls niemals erfüllter, gegebe-
ner Gegenstand. Wir können die Welt als Totalität weder anschauen noch denken. Wir
erreichen immer wieder j ene Antinomien, aber nicht, um bei ihnen auszuruhen, son-
dern von ihnen gerüttelt mit neuen Triebkräften in der konkreten Wirklichkeit erken-
nend voranzuschreiten.
2. Das Leben ist, formal bestimmt, ein Ganzes, das durch seine Teile besteht, wie je-
der Teil nur durch das Ganze möglich ist; doch so, daß Teile und Beziehungen nicht
endlich, wie bei der Maschine, sondern unendlich sind. Das Leben als Komplex vieler
Funktionen und Teile und das Leben als eine Kraft, eine einheitliche Ganzheit sind die
sich widersprechenden Kategorien, in denen das Leben immer wieder vom Erkennen-
den unvermeidlich gedacht wird. Im Leben gibt es weiter Gegensätze antinomischen
Charakters: das Leben ist niemals als Totalität, als ruhendes, abgeschlossenes Wesen
da, sondern immer bewegt, in Gegensätze zerspalten. Es ist mit seinem Gegensatz, dem
Tode, unweigerlich verbunden, ist entzweit in männlich und weiblich. Wir können
nicht »Mensch überhaupt« sein (der Mensch ist keine fertige Wirklichkeit, vielmehr
auch selbst Idee), sondern nur als männlich oder weiblich. Unser Dasein ist an solche
Gegensätze als an etwas absolut Letztes gebunden.
3. Die Seele wird unvermeidlich als Totalität oder Einheit und als Komplex von Tei-
len gedacht (analog dem Leben); als verstehbar und als unverständlich, bloß erklärbar.
Sowohl auf Einheiten als auf Teile gerichtet verfährt das psychologische Erkennen;
über diese Antinomie kommt es nicht hinaus. Die Mannigfaltigkeit seiner Antinomien
kommt in den Ideen von Seele, Persönlichkeit, Krankheitseinheit usw. zur Geltung.
Alle diese Antinomien der Wirklichkeit sind nicht Widersprüche, aus denen auf
die Unwirklichkeit des Daseins geschlossen werden könnte. Sie sind völlig evidente
Realitäten, in denen wir leibhaftig existieren. Ihre Wirklichkeit ist die Grenze des Er-
kennens, das durch sie in Bewegung gesetzt wird, dafür aber auch nie zum Abschluß
kommt. Hier ist der Mensch in einer letzten Situation, durch die er erkennend immer

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