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Psychologie der Weltanschauungen
wieder in Zweifel gerät, aber gerade dadurch ideenhafte Kräfte gewinnt. Sieht er aber
237 fertig formulierte Anti| normen irgendwie als Erkenntnis an, die die Sache von Grund
aus erfassen, so ist gerade das der Tod des Erkennens, das nur konkret fortschreiten
kann, und in diesem Fortschreiten überhaupt erst die Antinomien erfährt. Im allge-
meinen Gedachtwerden sind sie noch nicht erfaßt.
2. Die Antinomien für das Werten und Handeln.
Die objektive Situation ist für den Menschen viel erschütternder dadurch, daß er die
Wirklichkeit nicht nur erkennt, sondern auch wertet und für seine Existenz in sie, han-
delnd aus Wertungen und Zwecken heraus, eingreift. Die Werte bestehen sämtlich in
Gegensätzen von Wert und Unwert. An jeden Wert ist ganz allgemein ein Unwert ge-
bunden. Die Werte gewinnen die Form eines Objektiven, eines besonderen Reiches,
als etwas, das an sich Geltung hat, erfüllt oder gefördert werden solL Zwischen diesem
Reich der Werte und der Wirklichkeit besteht eine Spannung: Statt daß das, was wirk-
lich ist, auch Wert hat, und aller Wert wirklich ist, ist im Gegenteil die Wirklichkeit
ohne jede Rücksicht auf die Wertgegensätze, und der Mensch beschreitet seinerseits
einen unendlichen Weg der Wertverwirklichung, wenigstens seiner Intention nach;
wobei es objektiv ganz problematisch bleibt, ob wirklich in der Folge der Zeit »Fort-
schritt« in der Verwirklichung von Werten eintritt, oder ob es nur Reihen von Wert-
verwirklichung und Wertzerstörung bei einzelnen Individuen und in begrenzten -
wenn auch langen - Zeitstrecken gibt.
In dieser Richtung auf Wertverwirklichung befindet sich nun der Mensch sofort
wieder Antinomien gegenüber, welche auf die allgemeine Formel zu bringen sind: Die
Werte werden nur wirklich durch Kräfte und Bedingungen, welche selbst wertnegativ
sind. Will man irgendeinen Wert in der Wirklichkeit, so muß man wegen der objekti-
ven Zusammenhänge Unwerte unvermeidlich in Kauf nehmen. Jedes Handeln auf
Werte hin hat Folgen, die der Handelnde nicht wollte und nicht wollen kann. Kein
Handeln hat rein und ohne Nebenerfolge die gewollte Wirkung. Beispiele wären etwa:
Ich will Menschenliebe und geistige Kultur; um diese überhaupt irgendwo verwirkli-
chen zu können, nehme ich Menschenausbeutung tatsächlich - als etwas Unvermeid-
liches - hin, wenn es meinem Blicke auch noch so verdeckt ist. - Ich will Erkenntnis,
d.h. etwas Mitteilbares, Eehrbares und Eernbares, Beweisbares, Zwingendes, und ich
erreiche entweder eine Summe von Richtigkeiten, die mich und jedermann gleichgül-
tig lassen, oder ich erreiche »wichtige« Erkenntnis und verhelfe gerade dadurch einem
238 neuen irrationalen Faktor, den Ideen, | zum Leben, die der Gegenpol des Mitteilbaren,
Beweisbaren und Zwingenden sind (d.h. sofern die »Wichtigkeit« im Reiche der Er-
kenntnis bleibt und nicht etwa die Erkenntnis dadurch »wichtig« gemacht ist, daß sie
als Dienende außererkenntnismäßigen Zwecken, z.B. utilitarischen, ökonomischen,
technischen, staatlichen usw. unterworfen ist). - Ich will das Unvergängliche, Dauer-
hafte und muß erfahren, daß nur Wesen gewinnt, was erfüllter Augenblick ist. - Ich
Psychologie der Weltanschauungen
wieder in Zweifel gerät, aber gerade dadurch ideenhafte Kräfte gewinnt. Sieht er aber
237 fertig formulierte Anti| normen irgendwie als Erkenntnis an, die die Sache von Grund
aus erfassen, so ist gerade das der Tod des Erkennens, das nur konkret fortschreiten
kann, und in diesem Fortschreiten überhaupt erst die Antinomien erfährt. Im allge-
meinen Gedachtwerden sind sie noch nicht erfaßt.
2. Die Antinomien für das Werten und Handeln.
Die objektive Situation ist für den Menschen viel erschütternder dadurch, daß er die
Wirklichkeit nicht nur erkennt, sondern auch wertet und für seine Existenz in sie, han-
delnd aus Wertungen und Zwecken heraus, eingreift. Die Werte bestehen sämtlich in
Gegensätzen von Wert und Unwert. An jeden Wert ist ganz allgemein ein Unwert ge-
bunden. Die Werte gewinnen die Form eines Objektiven, eines besonderen Reiches,
als etwas, das an sich Geltung hat, erfüllt oder gefördert werden solL Zwischen diesem
Reich der Werte und der Wirklichkeit besteht eine Spannung: Statt daß das, was wirk-
lich ist, auch Wert hat, und aller Wert wirklich ist, ist im Gegenteil die Wirklichkeit
ohne jede Rücksicht auf die Wertgegensätze, und der Mensch beschreitet seinerseits
einen unendlichen Weg der Wertverwirklichung, wenigstens seiner Intention nach;
wobei es objektiv ganz problematisch bleibt, ob wirklich in der Folge der Zeit »Fort-
schritt« in der Verwirklichung von Werten eintritt, oder ob es nur Reihen von Wert-
verwirklichung und Wertzerstörung bei einzelnen Individuen und in begrenzten -
wenn auch langen - Zeitstrecken gibt.
In dieser Richtung auf Wertverwirklichung befindet sich nun der Mensch sofort
wieder Antinomien gegenüber, welche auf die allgemeine Formel zu bringen sind: Die
Werte werden nur wirklich durch Kräfte und Bedingungen, welche selbst wertnegativ
sind. Will man irgendeinen Wert in der Wirklichkeit, so muß man wegen der objekti-
ven Zusammenhänge Unwerte unvermeidlich in Kauf nehmen. Jedes Handeln auf
Werte hin hat Folgen, die der Handelnde nicht wollte und nicht wollen kann. Kein
Handeln hat rein und ohne Nebenerfolge die gewollte Wirkung. Beispiele wären etwa:
Ich will Menschenliebe und geistige Kultur; um diese überhaupt irgendwo verwirkli-
chen zu können, nehme ich Menschenausbeutung tatsächlich - als etwas Unvermeid-
liches - hin, wenn es meinem Blicke auch noch so verdeckt ist. - Ich will Erkenntnis,
d.h. etwas Mitteilbares, Eehrbares und Eernbares, Beweisbares, Zwingendes, und ich
erreiche entweder eine Summe von Richtigkeiten, die mich und jedermann gleichgül-
tig lassen, oder ich erreiche »wichtige« Erkenntnis und verhelfe gerade dadurch einem
238 neuen irrationalen Faktor, den Ideen, | zum Leben, die der Gegenpol des Mitteilbaren,
Beweisbaren und Zwingenden sind (d.h. sofern die »Wichtigkeit« im Reiche der Er-
kenntnis bleibt und nicht etwa die Erkenntnis dadurch »wichtig« gemacht ist, daß sie
als Dienende außererkenntnismäßigen Zwecken, z.B. utilitarischen, ökonomischen,
technischen, staatlichen usw. unterworfen ist). - Ich will das Unvergängliche, Dauer-
hafte und muß erfahren, daß nur Wesen gewinnt, was erfüllter Augenblick ist. - Ich