Psychologie der Weltanschauungen
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will (im Kriege) Sicherung der Zukunft und helfe dem erobernden Imperialismus; ich
will Verteidigung und greife an usw.
Die Antinomien für das Handeln, die es unmöglich machen, »das« absolut Rechte
auch nur zu wollen, weil man es nicht wissen kann, zeigen sich im großen der mensch-
lichen Gesellschaft. Diese besteht nur durch die entgegengesetzten Kräfte, die zugleich
wertentgegengesetzt sind, aber so, daß jedesmal der positive oder negative Akzent auf
beiden Seiten liegen kann, je nach der wertenden Weltanschauung. So steht der indi-
vidualistischen Selbstherrlichkeit, dieser Quelle alles Entwickelns, Fortschreitens,
Schaffens, Erfindens, als Gegenpol der solidarische Anschluß und die Unterordnung
unter die Gemeinschaft als Bedingung der geselligen und damit auch der individuel-
len Existenz gegenüber.
II. Die Antinomien von der Subjekts eite her.
Die unvermeidlichen Gegensätze in uns werden überall sichtbar: in den an der Grenze
des Psychologischen stehenden und als Wurzel sublimiertester Seelenprozesse wich-
tigen Kontrasterscheinungen, in den Trieben und Strebungen, in den Eigenschaften
und Dispositionen unseres Charakters, in den Möglichkeiten der Selbstgestaltung.
In den Trieben sind Gegensätze aneinander gefesselt. Hat man einen Trieb, so steht
man in einer Polarität. Man kann nicht den einen Trieb, höchstens die ganze Polari-
tät los werden. Während die rationalistische, nicht anschauende Auffassung im Seeli-
schen bei Vorhandensein der einen Seite eines Gegensatzes logisch das Fehlen der ent-
gegengesetzten Seite erwartet, ist es tatsächlich so, daß die Disziplinierung der einen
Seite wohl die Hauptwirkung für die Prägung der Persönlichkeit, vor allem für das Han-
deln haben kann, aber im Erleben selbst sind gerade beide Seiten vorhanden, und man
darf von einer Seite auf das Vorhandensein auch der anderen schließen. Lustbedürf-
nis und Unlustbedürfnis, Sadismus und Masochismus, Machtwille und Unterwer-
fungswille, Liebe und Haß, Sensationsbedürfnis und Bedürfnis nach Ruhe usw. gehö-
ren zusammen, kurz: Jedem Wollen steht ein Nichtwollen gegenüber.
| Gegensätze als Kontraste erwecken sich gegenseitig. Eine starke seelische Entwick- 239
lung nach einer Seite tendiert zum Umschlag in die entgegengesetzte, gerade am stärk-
sten bei reiner, gesteigerter Entwicklung der einen Möglichkeit. Schon im Physiologi-
schen ruft das längere Anblicken einer Farbe das Nachbild in der Komplementärfarbe
hervor. Dann im Gefühlsleben: Starke Traurigkeiten schlagen nach einiger Zeit manch-
mal bei überraschend kleinem Anlaß aus inneren Bedingungen in Heiterkeit um, die
vielleicht der ganzen Situation inadäquat ist, und umgekehrt. Schließlich gilt überall,
was vom mittelalterlichen Menschen, weil dort besonders deutlich, gesagt wurde:
»Entgegengesetztes tritt in unmittelbare Nähe, Weltsucht und Weltflucht, Entsagung
und wildeste Lust, Liebe und entsetzliche Grausamkeit, Barmherzigkeit und ritterliche
Härte, trockener Verstand und Überfluß des Gefühls, Eindrücke der Gottesnähe und
Gottesverlassenheit« (Gass, zitiert bei v. Eicken298). Wer viel Lust will, muß viel Un-
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will (im Kriege) Sicherung der Zukunft und helfe dem erobernden Imperialismus; ich
will Verteidigung und greife an usw.
Die Antinomien für das Handeln, die es unmöglich machen, »das« absolut Rechte
auch nur zu wollen, weil man es nicht wissen kann, zeigen sich im großen der mensch-
lichen Gesellschaft. Diese besteht nur durch die entgegengesetzten Kräfte, die zugleich
wertentgegengesetzt sind, aber so, daß jedesmal der positive oder negative Akzent auf
beiden Seiten liegen kann, je nach der wertenden Weltanschauung. So steht der indi-
vidualistischen Selbstherrlichkeit, dieser Quelle alles Entwickelns, Fortschreitens,
Schaffens, Erfindens, als Gegenpol der solidarische Anschluß und die Unterordnung
unter die Gemeinschaft als Bedingung der geselligen und damit auch der individuel-
len Existenz gegenüber.
II. Die Antinomien von der Subjekts eite her.
Die unvermeidlichen Gegensätze in uns werden überall sichtbar: in den an der Grenze
des Psychologischen stehenden und als Wurzel sublimiertester Seelenprozesse wich-
tigen Kontrasterscheinungen, in den Trieben und Strebungen, in den Eigenschaften
und Dispositionen unseres Charakters, in den Möglichkeiten der Selbstgestaltung.
In den Trieben sind Gegensätze aneinander gefesselt. Hat man einen Trieb, so steht
man in einer Polarität. Man kann nicht den einen Trieb, höchstens die ganze Polari-
tät los werden. Während die rationalistische, nicht anschauende Auffassung im Seeli-
schen bei Vorhandensein der einen Seite eines Gegensatzes logisch das Fehlen der ent-
gegengesetzten Seite erwartet, ist es tatsächlich so, daß die Disziplinierung der einen
Seite wohl die Hauptwirkung für die Prägung der Persönlichkeit, vor allem für das Han-
deln haben kann, aber im Erleben selbst sind gerade beide Seiten vorhanden, und man
darf von einer Seite auf das Vorhandensein auch der anderen schließen. Lustbedürf-
nis und Unlustbedürfnis, Sadismus und Masochismus, Machtwille und Unterwer-
fungswille, Liebe und Haß, Sensationsbedürfnis und Bedürfnis nach Ruhe usw. gehö-
ren zusammen, kurz: Jedem Wollen steht ein Nichtwollen gegenüber.
| Gegensätze als Kontraste erwecken sich gegenseitig. Eine starke seelische Entwick- 239
lung nach einer Seite tendiert zum Umschlag in die entgegengesetzte, gerade am stärk-
sten bei reiner, gesteigerter Entwicklung der einen Möglichkeit. Schon im Physiologi-
schen ruft das längere Anblicken einer Farbe das Nachbild in der Komplementärfarbe
hervor. Dann im Gefühlsleben: Starke Traurigkeiten schlagen nach einiger Zeit manch-
mal bei überraschend kleinem Anlaß aus inneren Bedingungen in Heiterkeit um, die
vielleicht der ganzen Situation inadäquat ist, und umgekehrt. Schließlich gilt überall,
was vom mittelalterlichen Menschen, weil dort besonders deutlich, gesagt wurde:
»Entgegengesetztes tritt in unmittelbare Nähe, Weltsucht und Weltflucht, Entsagung
und wildeste Lust, Liebe und entsetzliche Grausamkeit, Barmherzigkeit und ritterliche
Härte, trockener Verstand und Überfluß des Gefühls, Eindrücke der Gottesnähe und
Gottesverlassenheit« (Gass, zitiert bei v. Eicken298). Wer viel Lust will, muß viel Un-