Psychologie der Weltanschauungen
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ihrer eigentümlichen Subjekt-Objektlosigkeit innewerden: hier wieder entweder im
Schauen durch reale Gegenstände hindurch oder in der Intuition durch irreale Kom-
plexe von Gedanken, Symbolen.
Es ist von grundsätzlicher Bedeutung für die begriffliche Auffassung mystischer Er-
lebnisse, daß es Erlebnisse mangelnder Subjekt-Objekt-Spaltung - aber einer solchen
Spaltung wenigstens teilweise fähig - auf der Basis schon vorhandener anderer Sub-
jekt-Objekt-Spaltung gibt. Der Schluß, dann beruhe ja wohl gerade die Wirkung der
Kunstwerke, Philosophien auf ihrer Unklarheit und man tue also gut, Unklarheit fest-
zuhalten, ist aber falsch: es kommt eben darauf an, was unklar ist, und gewisse erheb-
liche Unklarheiten - die wir Ideen nennen - werden überhaupt erst auf der Basis brei-
tester Vergegenständlichung erlebt. Immer mehr zu vergegenständlichen, bleibt
Maxime für den, der sich den tiefsten Unklarheiten nähern will.
Es wäre denkbar, daß es Erlebnisse gäbe, die ihrem Wesen nach nicht vollständig
in Gegenständlichkeiten aufgelöst werden könnten, Erlebnisse, die nicht vorläufig un-
klar, sondern es prinzipiell wären. Solche wären entweder jene Unmittelbarkeiten, die
an sich ungeistig sind, nie die Übersetzung in Geist erfahren, das absolut Sinnliche,
oder es wären Erlebnisse, die mit intensivstem Bedeutungsbewußtsein einhergingen,
ohne daß diese Bedeutung gegenständlich erfaßt werden könnte. Ein banales Beispiel,
das dem MESSERschen entspräche, wäre etwa das Erleben intensiver, ganz unklarer Be-
deutung beim Erwachen nach Schlaf oder Narkose.
Nun ist die Frage, für die das Bisherige nur Voraussetzung war, was aus der hetero-
genen Mannigfaltigkeit dieser mystisch genannten | banalen oder wesentlichen Erleb-
nisse wird, wenn der Geist sie als Materie ergreift.
Das Mystische als Material: Erlebnisgenuß oder Entfaltung der Idee.
Was diesen Erlebnissen ihre Banalität während des Erlebens wohl immer, in der rück-
blickenden Besinnung nur manchmal nimmt, das ist das Bewußtsein einer konkret er-
lebten Unendlichkeit, sei es mit Angst oder in seligem Schwünge. Denn alles, was ge-
genständlich ist, ist begrenzt, steht in Beziehung zu andern begrenzten Gegenständen,
alles Gegenständliche ist endlich. Auch die Unendlichkeit als Begriff ist ein solcher
endlicher Gegenstand, er ist eine bloß gedachte oder gewußte Unendlichkeit, keine
erlebte. Die konkret erlebte Unendlichkeit in aufgehobener Subjekt-Objekt-Spaltung
ist auch nicht das Erlebnis der leeren Unendlichkeit des immer noch einmal, immer
weiter - wie man sie wohl verzweiflungsvoll im Traum erlebt, wenn man immer wei-
ter in immer neue Räume kommt, oder auf einem Wege in der Wüste immer vorwärts
geht mit dem Bewußtsein, daß niemals ein Ende kommen wird. Das Erlebnis konkre-
ter Unendlichkeit kann im Augenblick da sein und doch im nächsten Augenblick als
gleichgültig, als Täuschung beurteilt werden, wie in den angeführten banalen Beispie-
len; es kann aber auch als dauernd bedeutsames Erleben festgehalten, von neuem ge-
sucht werden, es können in diesem Sinne für das weitere Leben, sei es Handeln, Den-
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ihrer eigentümlichen Subjekt-Objektlosigkeit innewerden: hier wieder entweder im
Schauen durch reale Gegenstände hindurch oder in der Intuition durch irreale Kom-
plexe von Gedanken, Symbolen.
Es ist von grundsätzlicher Bedeutung für die begriffliche Auffassung mystischer Er-
lebnisse, daß es Erlebnisse mangelnder Subjekt-Objekt-Spaltung - aber einer solchen
Spaltung wenigstens teilweise fähig - auf der Basis schon vorhandener anderer Sub-
jekt-Objekt-Spaltung gibt. Der Schluß, dann beruhe ja wohl gerade die Wirkung der
Kunstwerke, Philosophien auf ihrer Unklarheit und man tue also gut, Unklarheit fest-
zuhalten, ist aber falsch: es kommt eben darauf an, was unklar ist, und gewisse erheb-
liche Unklarheiten - die wir Ideen nennen - werden überhaupt erst auf der Basis brei-
tester Vergegenständlichung erlebt. Immer mehr zu vergegenständlichen, bleibt
Maxime für den, der sich den tiefsten Unklarheiten nähern will.
Es wäre denkbar, daß es Erlebnisse gäbe, die ihrem Wesen nach nicht vollständig
in Gegenständlichkeiten aufgelöst werden könnten, Erlebnisse, die nicht vorläufig un-
klar, sondern es prinzipiell wären. Solche wären entweder jene Unmittelbarkeiten, die
an sich ungeistig sind, nie die Übersetzung in Geist erfahren, das absolut Sinnliche,
oder es wären Erlebnisse, die mit intensivstem Bedeutungsbewußtsein einhergingen,
ohne daß diese Bedeutung gegenständlich erfaßt werden könnte. Ein banales Beispiel,
das dem MESSERschen entspräche, wäre etwa das Erleben intensiver, ganz unklarer Be-
deutung beim Erwachen nach Schlaf oder Narkose.
Nun ist die Frage, für die das Bisherige nur Voraussetzung war, was aus der hetero-
genen Mannigfaltigkeit dieser mystisch genannten | banalen oder wesentlichen Erleb-
nisse wird, wenn der Geist sie als Materie ergreift.
Das Mystische als Material: Erlebnisgenuß oder Entfaltung der Idee.
Was diesen Erlebnissen ihre Banalität während des Erlebens wohl immer, in der rück-
blickenden Besinnung nur manchmal nimmt, das ist das Bewußtsein einer konkret er-
lebten Unendlichkeit, sei es mit Angst oder in seligem Schwünge. Denn alles, was ge-
genständlich ist, ist begrenzt, steht in Beziehung zu andern begrenzten Gegenständen,
alles Gegenständliche ist endlich. Auch die Unendlichkeit als Begriff ist ein solcher
endlicher Gegenstand, er ist eine bloß gedachte oder gewußte Unendlichkeit, keine
erlebte. Die konkret erlebte Unendlichkeit in aufgehobener Subjekt-Objekt-Spaltung
ist auch nicht das Erlebnis der leeren Unendlichkeit des immer noch einmal, immer
weiter - wie man sie wohl verzweiflungsvoll im Traum erlebt, wenn man immer wei-
ter in immer neue Räume kommt, oder auf einem Wege in der Wüste immer vorwärts
geht mit dem Bewußtsein, daß niemals ein Ende kommen wird. Das Erlebnis konkre-
ter Unendlichkeit kann im Augenblick da sein und doch im nächsten Augenblick als
gleichgültig, als Täuschung beurteilt werden, wie in den angeführten banalen Beispie-
len; es kann aber auch als dauernd bedeutsames Erleben festgehalten, von neuem ge-
sucht werden, es können in diesem Sinne für das weitere Leben, sei es Handeln, Den-
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