408
Psychologie der Weltanschauungen
449 gesetzte Forderungen für Lebens |führung und für die Wertung der einzelnen
Lebenserscheinungen entspringen.
Die Voraussetzung ist die entgegengesetzte philosophische Weltdeutung.
a) Plotins Lehre vom Einen: Plotin weiß, was es mit der Welt auf sich hat. Aus dem
Ureinen entspringt in einer Folge von Emanationen die ausgebreitete Welt und in ei-
nem rückwärtsschreitenden Prozeß drängen die Wesen zum Ureinen zurück, einem
Abstieg zur Welt der endlichen Einzelgegenstände steht ein Aufstieg gegenüber zurück
zum Einen. »Denn nicht die Wirklichkeit des Lebens, d.h. das All ist das erste Leben,
sondern dieses ist selbst wie aus einer Quelle hervorgeströmt. Denke dir nämlich eine
Quelle, die keinen Anfang weiter hat, sich selbst aber den Flüssen mitteilt, ohne daß
sie erschöpft wird durch die Flüsse, vielmehr ruhig in sich selbst beharrt... oder stelle
es dir vor wie das Leben eines gewaltigen Baumes, welches das All durchströmt, indem
der Anfang bleibt und nicht im Ganzen zerstreut wird, gleichsam festgegründet in der
Wurzel. Diese also gibt das gesamte reiche Leben dem Baume, bleibt aber selbst, da es
nicht die Fülle ist, sondern Prinzip der Fülle ... Und in jedem Einzelnen ist ein Eins, auf
das du es zurückführen kannst, so auch das All auf das Eine vor ihm, das noch nicht
einfach eins ist, bis man zu dem einfach Einen gekommen ... Erfaßt man aber das Eine
der Pflanze, d.i. das bleibende Prinzip und das Eine des Tiers und das Eine der Seele
und das Eine des Alls, so erfaßt man jedesmal das Mächtigste und das Wertvolle ...«
In einer aufsteigenden Reihe von Erlebnissen mystischer Art, in denen wir nicht
anschauen (ein Objekt), sondern schauen (objektlos), stellt die menschliche Seele die
Vereinigung mit dem Einen wieder her. In der Ekstase gewinnt die Seele nicht etwa
bloß ein mystisches Erleben, nicht bloß eine persönliche Kraft, sondern eine reale Ver-
einigung mit dem Einen, dem Absoluten: »Und wenn man das Eine des wahrhaft Sei-
enden, sein Prinzip und seine Quellen und seine Kraft erfaßt, dann sollten wir ungläu-
big sein und ein Nichts zu haben wähnen? Allerdings ist es nichts von dem, dessen
Prinzip es ist, so zwar, daß nichts von ihm ausgesagt werden kann, nicht Sein, nicht
Wesenheit, nicht Leben: es ist über diesen allen ...« Das Lebensziel wird so natürlich
die Vereinigung mit dem Einen, die direkte reale Berührung: »Faßt du es aber auf, nach-
dem du das Sein weggenommen, so wirst du dein Wunder haben, und dich aufschwin-
gend zu ihm und es erfassend in seinen Wirkungen ruhe aus und suche es mehr zu ver-
stehen durch Intuition es begreifend, so jedoch, daß du seine Größe überschaust in
dem, was nach ihm und um seinetwillen ist.«612
450 | b) Kants Ideenlehre: Kant weiß nicht, was es mit der Welt an sich auf sich hat. Wir
können nur wissen und erfahren innerhalb der Subjekt-Objekt-Spaltung. Er lehrt, wie
alles Gegenständliche für uns Gegenstand durch das Zusammen von kategorialer Form
und sinnlichem Material ist, wie wir immer nur Endliches, weil Gegenständliches erfas-
sen. Aber überall gewinnen wir - einzelnen Sphären wie der Totalität der Welt gegen-
über - die Richtung auf das Unendliche. Nirgends können wir die Unendlichkeit zum
Ende durchlaufen, als unendliche Totalität zum Gegenstand gewinnen. Sie würde da-
Psychologie der Weltanschauungen
449 gesetzte Forderungen für Lebens |führung und für die Wertung der einzelnen
Lebenserscheinungen entspringen.
Die Voraussetzung ist die entgegengesetzte philosophische Weltdeutung.
a) Plotins Lehre vom Einen: Plotin weiß, was es mit der Welt auf sich hat. Aus dem
Ureinen entspringt in einer Folge von Emanationen die ausgebreitete Welt und in ei-
nem rückwärtsschreitenden Prozeß drängen die Wesen zum Ureinen zurück, einem
Abstieg zur Welt der endlichen Einzelgegenstände steht ein Aufstieg gegenüber zurück
zum Einen. »Denn nicht die Wirklichkeit des Lebens, d.h. das All ist das erste Leben,
sondern dieses ist selbst wie aus einer Quelle hervorgeströmt. Denke dir nämlich eine
Quelle, die keinen Anfang weiter hat, sich selbst aber den Flüssen mitteilt, ohne daß
sie erschöpft wird durch die Flüsse, vielmehr ruhig in sich selbst beharrt... oder stelle
es dir vor wie das Leben eines gewaltigen Baumes, welches das All durchströmt, indem
der Anfang bleibt und nicht im Ganzen zerstreut wird, gleichsam festgegründet in der
Wurzel. Diese also gibt das gesamte reiche Leben dem Baume, bleibt aber selbst, da es
nicht die Fülle ist, sondern Prinzip der Fülle ... Und in jedem Einzelnen ist ein Eins, auf
das du es zurückführen kannst, so auch das All auf das Eine vor ihm, das noch nicht
einfach eins ist, bis man zu dem einfach Einen gekommen ... Erfaßt man aber das Eine
der Pflanze, d.i. das bleibende Prinzip und das Eine des Tiers und das Eine der Seele
und das Eine des Alls, so erfaßt man jedesmal das Mächtigste und das Wertvolle ...«
In einer aufsteigenden Reihe von Erlebnissen mystischer Art, in denen wir nicht
anschauen (ein Objekt), sondern schauen (objektlos), stellt die menschliche Seele die
Vereinigung mit dem Einen wieder her. In der Ekstase gewinnt die Seele nicht etwa
bloß ein mystisches Erleben, nicht bloß eine persönliche Kraft, sondern eine reale Ver-
einigung mit dem Einen, dem Absoluten: »Und wenn man das Eine des wahrhaft Sei-
enden, sein Prinzip und seine Quellen und seine Kraft erfaßt, dann sollten wir ungläu-
big sein und ein Nichts zu haben wähnen? Allerdings ist es nichts von dem, dessen
Prinzip es ist, so zwar, daß nichts von ihm ausgesagt werden kann, nicht Sein, nicht
Wesenheit, nicht Leben: es ist über diesen allen ...« Das Lebensziel wird so natürlich
die Vereinigung mit dem Einen, die direkte reale Berührung: »Faßt du es aber auf, nach-
dem du das Sein weggenommen, so wirst du dein Wunder haben, und dich aufschwin-
gend zu ihm und es erfassend in seinen Wirkungen ruhe aus und suche es mehr zu ver-
stehen durch Intuition es begreifend, so jedoch, daß du seine Größe überschaust in
dem, was nach ihm und um seinetwillen ist.«612
450 | b) Kants Ideenlehre: Kant weiß nicht, was es mit der Welt an sich auf sich hat. Wir
können nur wissen und erfahren innerhalb der Subjekt-Objekt-Spaltung. Er lehrt, wie
alles Gegenständliche für uns Gegenstand durch das Zusammen von kategorialer Form
und sinnlichem Material ist, wie wir immer nur Endliches, weil Gegenständliches erfas-
sen. Aber überall gewinnen wir - einzelnen Sphären wie der Totalität der Welt gegen-
über - die Richtung auf das Unendliche. Nirgends können wir die Unendlichkeit zum
Ende durchlaufen, als unendliche Totalität zum Gegenstand gewinnen. Sie würde da-