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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0508
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Psychologie der Weltanschauungen

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| Gleichwohl wurde mein Sinn hierbei auf einigen guten Zweck gelenket, indem ich endlich 457
nach vieler Bemühung in anderen Wissenschaften und Sprachen auf die Kirchen-Historie ge-
riet. Nun hatte ich ohne dem nach Erkenntnis des tiefen Verfalls in der ganzen sogenannten
Christenheit keinen Vorsatz, in ein öffentliches Kirchenamt zu gehen, zumahlen ich mich auch
zu denen äußerlichen Ceremonien und denen dabey fast nötigen Vorstellungen ganz nicht
tüchtig und geneigt fand. Daher gerieten viele nebenst mir auf die Gedanken, ich könnte meine
ganze Lebens-zeit am nützlichsten außer öffentlichen Ämtern, in Untersuchung und Entdek-
kung der bisher unter uns Deutschen sehr unbekannten und verfälschten Kirchengeschichte
zubringen. Ich ließ mir also hierinnen eine Arbeit nach der andern aufbürden, und geriete so-
fern von meinem Hauptzweck (nach dem besten Teil zu streben) ab, und hingegen in Weitläuff-
tigkeit, daß ich zuletzt gar unversehen überredet ward, die Historien auf einer Universität öf-
fentlich zu profitieren.
Hierzu nun mußten viel scheinbare Ursachen dienen, und zwar insgemein die mir noch bei-
wohnende Einbildung, ob wäre das Schul-wesen vor dem Kirchen-staat einem erleuchteten Ge-
müte noch etwas erträglicher und dienlicher zur Erbauung, welches ich desto eher geglaubet,
je weniger ich noch davon erfahren, nachdem ich bereits 10 Jahre außerhalb Universitäten ge-
lebt, zuvor aber wenig von dem allgemeinen Verderben empfunden oder angemerket hatte.
Ich hatte aber kaum die gewöhnlichen Verrichtungen bei diesem Amte angetreten, so emp-
funde ich alsobald in meiner Seelen allezeit und durchgehends die größte Angst und Bedräng-
nis. Ich bemühte mich mit Lesen, Disputieren und andern exercitiis treulich und fleißig zu sein,
und suchte mich sonsten nach Möglichkeit zu beruhigen. Allein die bald erfolgende Reue über-
woge alles (Gott weiß ich lüge nicht) womit auch einige Creatur mir gefallen wollte. Da gingen
bei allen Schriften und Gelegenheiten die stetige Bestraffungen und Warnungen des heiligen
Geists in meinem Herzen unaussetzlich an, und vor sich. Der Eckel vor dem hochtrabenden
ruhmsüchtigen vernunffts-wesen des akademischen Lebens wuchs täglich, und das Geheimnis
der Bosheit so in mir und andern läge, wurde zu einem heftigen Entsetzen nachdrücklich ent-
decket. Weil ich so gar alles Christo und seiner Niedrigkeit, Liebe und Einfalt, ja dem lebendi-
gen Glauben und ganzen Weg des Heils gerade entgegen stehen sähe.
Alsobald aber begunte die Barmherzigkeit Gottes - mich nach und nach meiner heimlich ge-
führten und subtilen Nebenabsichten, bei Annehmung dieser Funktion zu überzeugen. Denn,
ob es wohl in dem Hauptzweck mir ein großer Ernst war, so entdeckte mir doch der heilige Geist
bei solchem meinem inwendigen Jammer, auch oftmals unter dem Gebet, meine geheime Lust
an Ämtern, Tituln und Ehren, die Furcht vor der Nachrede, als könnte ich zu keinem Dienst ge-
langen, die Beisorge, wie ich mich lebenslang erhalten wollte, und in summa heimlichen Ehr-
geiz und Bauchsorge, und hingegen Furcht und Flucht vor dem armen Leben Christi. Item,
Furcht vor der Schmach und Feindschaft der Welt-leute usw.
Zwar mangelte es nicht an unzehlichen Gegensätzen, Vorschlägen und Einwürfen der Ver-
nunft und aller Creaturen, die mir oft hart zusetzten, item an Widersprechungen und Versu-
chungen - welches alles mich nötigte, mich der meisten Zusammenkünften zu enthalten, und
die Zeit auf Gebet | und Flehen zu wenden. Zu dem gewöhnlichen Schmausen aber und Gaste- 458
reyen hatte ich vollends garnicht gehen können, nachdem derselbe Greuel auch von Welther-
zen nicht geleugnet wird.«
1698 nahm Arnold seinen Abschied, 1700 verheiratete er sich mit Anna Maria Sprögeln,
»bei deren Umgang, wie er selbst bezeugt, die Weisheit Gottes viel Gnade und Guttaten äußer-
lich und innerlich erzeiget.« Nach einem Privatleben in Quedlinburg lebte er 1701-1705 am Hofe
 
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