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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0519
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Kants Ideenlehre

Ursachen, der ganze Raum. Alle anschauliche Räumlichkeit ist von anderer Räumlich-
keit begrenzt, alle erfahrene Ursache hat eine weitere Ursache. Ist aber auch alle ein-
163 zelne Erfahrung bedingt, so kann doch in der | Idee die Totalität der Erfahrung als un-
bedingt gedacht werden. Ist der einzelne angeschaute Raum begrenzt, so ist doch die
Totalität des Raumes unbegrenzt. In der Idee wird das Unbedingte immer als Totalität,
dies Unbegrenzte als Ganzes, und umgekehrt, gedacht. Aber weder die unbedingte
ganze Erfahrung noch der unbegrenzte ganze Raum sind jemals mögliche Gegen-
stände der Erfahrung, die vielmehr immer einzeln ist.
Totalität und Unbedingtheit sind das Wesen der Idee. Die Eigenschaften der Ideen
werden durch Kant im übrigen durch die Entgegensetzung zu den Kategorien gekenn-
zeichnet. Die Kategorie ist direkt der Anschauung zugewandt, von der sie erfüllt wird.
Die Idee bezieht sich direkt nur auf Begriffe und Urteile und erst durch diese indirekt
auf Anschauung. Die Kategorie ist anschaulich, adäquat erfüllbar; die Idee ist nie an-
schaulich erfüllbar, niemals findet sich in der Erfahrung ihr kongruierende Anschau-
ung, niemals ist die Erfahrung der Idee angemessen. Die Kategorie ist fest begrenzt, die
Idee über jede erreichte Grenze erweiternd. Die Kategorie ist mit ihrem Material gege-
ben, die Idee nur aufgegeben. Die Kategorie ist bestimmt, die Idee unbestimmt. Die
Kategorien geben einzelne Erfahrungsgegenstände, die Ideen geben Erfahrungsein-
heit. Die Kategorien allein geben überhaupt Gegenständlichkeit, die Ideen nicht, son-
dern nur die Intention auf Totalität. Aus den Kategorien lassen sich Grundsätze ablei-
ten (z.B.: Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung von
Ursache und Wirkung); aus den Ideen stammen regulative Prinzipien, die die allge-
meine Form haben: von jedem Glied einer Reihe als einem bedingten kann jederzeit
zu einem noch entfernteren fortgeschritten werden (das zum obigen analoge Beispiel
wäre: Zu jeder Ursache ist eine weitere Ursache vorhanden).
Um den Kategorien »Anwendung« auf das Material der Sinnlichkeit zu geben, den
Begriffen ihr »Bild« zu verschaffen, hat Kant als merkwürdiges Zwischenglied zwischen
Kategorie und Anschauung das »Schema« eingeschoben, das beiden gleichartig, ihre
Verbindung ermöglichen sollte; ein solches Schema ist die Zeit, die als eine apriori-
sche Form mit der Kategorie, als Anschauungsform mit der Anschauung gleichartig
ist. Ein analoges Schema kennt Kant auch für die Ideen, um ihnen Anwendung auf die
bloßen Verstandeserkenntnisse zu geben. Kant lehrt: Zwar sollen die Gegenstände der
Ideen nicht »an sich selbst« angenommen werden. Aber »ihre Realität soll als die eines
164 Schemas des regulativen Prinzips der systematischen Ein|heit aller Naturerkenntnis
gelten«').627 Kant gibt hier den Vorstellungen von ideenhaften Gegenständen Einlaß
in die Welt der Erkenntnis. Er hat sie als metaphysische Hypostasierungen abgetan,
ihre anschauliche Erfüllung als unmöglich erkannt; aber sie haben hier ihren berech-

B. 702. Vgl. B. 693, 707, 710, 725.
 
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